Linguistik online  13, 1/03

Die Tanzerei und das Gesinge.[*]
Einige Verdachtsmomente zur Ableitung pejorativer Nomina im Deutschen

(Dublin)



1 Vorbemerkung

Pejorativbildungen werden im Deutschen in ihrer Mehrzahl durch Komposition vorgenommen (Scheiß-, Mist-, Sau-, Drecks- etc.). Derivation nimmt, anders als z. B. in einigen romanischen Sprachen (Portugiesisch und Spanisch), eine weniger prominente Position ein.[1] Zudem werden die Verfahren, die im folgenden (mitnichten erschöpfend) untersucht werden sollen - nämlich die deverbalen Ableitungen auf -(er)ei und die mit Präfix Ge- und Suffix -e - in der Wortbildungsforschung im Normalfall allgemein unter expliziter bzw. kombinierter Derivation behandelt.[2] Dabei wird der pejorative Charakter der so gebildeten Nomen zwar insgesamt deutlich hervorgehoben, aber bei der summarischen Behandlung des Suffixes -ei bzw. der Kombination Ge- -e (wie z. B. bei Fleischer/Barz 1995: 148ff und 207ff) bestimmte spezifische Eigenschaften dieser Wortbildungskonstruktionen eher oberflächlich behandelt.[3] Der vorliegende Beitrag beschränkt sich aus diesem Grund ausdrücklich auf deverbale nomina actionis. Dabei werden auch solche Konstruktionen, die sich eher auf das Resultat einer Handlung (nomina acti) und weniger auf diese selbst beziehen (z. B. Schmiererei)[4] unter dem Aspekt der Tätigkeit betrachtet. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass die primäre Funktion dieser Formen - zumindest bei den abgeleiteten nomina actionis - der Ausdruck einer abwertenden Sprechereinstellung ist. Bei Bildungen mit Ge-e werde ich mich auf diejenigen beschränken, die sich beider Affixe bedienen, da nur in diesen Fällen das abwertende Element vorhanden ist. Die durchgehend vertretene Auffassung, es handle sich bei dem Suffix -e um eine Option, die der Sprecher wahrnehmen kann oder nicht, teile ich nicht, da der Prozeß der Ableitung zwar vergleichbar ist, das Ergebnis jedoch nicht. Die Parallelbildungen weisen, sofern sie möglich sind, deutliche Bedeutungsunterschiede auf. Die Formen ohne -e haben keinen pejorativen Charakter, sondern können als neutrale kollektive Abstrakta gelten. Zudem beschränkt sich ihr Vorkommen auf eine recht begrenzte Anzahl von Basisverben (z. B. Gebell - Gebelle, Geschrei - Geschreie).

Nicht uninteressant ist, daß die Konkurrenz, in der sich die Verfahren befinden, bislang kaum Gegenstand weiterer Untersuchungen gewesen ist.[5]

Dies ist aus zwei Gründen erstaunlich: erstens handelt es sich um zwei enorm produktive Verfahren, die auch bei ad hoc Bildungen in der Alltagssprache sehr häufig angewendet werden und zweitens sind konkurrierende Verfahren, die nicht auch in bestimmten Bereichen komplementär sind, ein recht seltenes Phänomen. Beide Ableitungsmöglichkeiten sollen daher im folgenden genauer betrachtet und hinsichtlich der Distribution der aus ihnen resultierenden Nomina analysiert werden.

Die Bedeutungsähnlichkeiten, die beide Formen aufweisen, sind allerdings so groß, dass sie auf jeden Fall detailliert behandelt werden müssen, bevor die (vermutlich) doch vorhandenen Unterschiede thematisiert werden können.

Es gibt allerdings eine Reihe von Beschränkungen hinsichtlich der Anwendbarkeit beider Verfahren, die nicht unerwähnt bleiben dürfen.

 

2 Beschränkungen

Die Bildung pejorativer Nomen ist hinsichtlich der verbalen Base nur mit Einschränkungen möglich. Bei den folgenden Überlegungen werden nur die m. E. Wichtigsten - die semantischen und morphologischen - berücksichtigt.

2.1 Semantische Beschränkungen

Bei der folgenden Klassifikation beziehe ich mich terminologisch und inhaltlich auf Engel (1988:410f). Aktionsart und Aspekt werden allerdings nicht weiter berücksichtigt, da sie grundsätzlich keine zusätzlich restriktiven Elemente aufweisen.[6]

2.1.1 Geschehensart

2.1.1.1 Zustandsverben

Bei Zustandsverben sind prinzipiell beide Verfahren möglich, werden jedoch von muttersprachlichen Sprechern[7] als ungewöhnlich und ungebräuchlich empfunden.

Mit Präfix (z. B. rum-) sind die entsprechenden Formen jedoch keineswegs außergewöhnlich oder selten.

Ein Grund dafür könnte sein, dass das Präfix eine dynamische Bedeutungskomponente hinzufügt, in dem Sinne, dass Rumliegerei eher als Tätigkeit denn als Zustand empfunden wird.

2.1.1.2 Vorgangsverben

Noch weniger akzeptabel als bei den Zustandsverben sind die Ableitungen bei Vorgangsverben.

2.1.1.3 Tätigkeitsverben

Die Tätigkeitsverben sind die Gruppe, die für beide Verfahren den Hauptanteil der verbalen Basen stellt.

Die von Engel (1988:410) als Subklasse der Tätigkeitsverben unterschiedenen Handlungsverben, die eine Tätigkeit "immer mit Bezug auf ein betroffenes Objekt" charakterisieren, sind jedoch der Bildung pejorativer Nomen weniger zugänglich, denn diese werden von Muttersprachlern entweder als völlig inakzeptabel oder doch zumindest als ausgesprochen ungewöhnlich empfunden. Das heißt, dass einerseits Tätigkeitsverben in besonderem Maße für die Bildung pejorativer Nomina in Betracht kommen, wahrscheinlich weil ein intentional handelndes Subjekt vonnöten ist, daß die in Rede stehenden Tätigkeiten nach Auffassung des Sprechers entweder sachgemäßer durchführen könnte oder - weitaus häufiger - ganz unterlassen sollte, interessanter Weise jedoch nicht die Handlungsverben, obwohl eine Intention zweifelsohne vorliegt

2.2 Morphologische Beschränkungen

Das Beispiel Belieferei weist bereits auf eine andere Art der Beschränkung hin, nämlich eine morphologische. Die Pejorativbildung unterliegt morphologischen Restriktionen, die im Verhältnis zu den semantischen Restriktionen einen sehr viel stärkeren Auschlußcharakter haben.

2.2.1 Verben mit untrennbaren Präfixen

Verben dieser Art können keine Nomen mit Ge-e bilden, sondern nur solche auf -erei.

2.2.2 Verben auf -ieren

Diese Endung hat ähnlich restriktiven Charakter hat wie ein untrennbares Präfix, obwohl muttersprachliche Sprecher hier geneigt sind, zumindest die Möglichkeit der Bildung einzuräumen.

Den Ableitungen auf -erei wird jedoch eindeutig die Präferenz gegeben. Die kombinierte Derivation der pejorativen nomina actionis weist - wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich ist - auffallende Parallelen zur Bildung des Partizip Perfekt auf.[8] Allerdings gehen diese nicht so weit, dass in Analogie zum Partizip der Präfixverben auch ein Nomen ohne Ge- gebildet würde, obwohl dies unter rein morphologischen Gesichtspunkten unproblematisch wäre. Also

Ge- scheint also ein entscheidendes Element für die Wahrnehmung des Abfälligen zu sein und kann nicht, wie bei der Partizipbildung ja möglich, weggelassen werden.

Bezüglich der verbalen Basis sind demnach beide Verfahren dadurch gekennzeichnet, dass sie vor allem bei sogenannten Handlungsverben zur Anwendung kommen, wobei die kombinierte Derivation bei Verben mit untrennbaren Präfixen nicht zugelassen und bei solchen auf -ieren wenig gebräuchlich ist.

Durch diese Einschränkung wird folglich auch die Vorkommenshäufigkeit beeinflußt, die rein statistisch bei den Bildungen auf -erei höher sein müßte. Diese Annahme wird durch die Korpora, zumindest impressionistisch, bestätigt.

 

3 Bedeutungsprobleme

Die Bedeutung betreffend haben sowohl die Derivata auf -erei als auch die mit Ge-e eine kollektive, frequentative (Wellmann 1975: 175) und ausgeprägt pejorative Komponente. Muttersprachler können dementsprechend zwischen

kaum einen Unterschied feststellen. In der einschlägigen Literatur (cf. z. B. Fleischer/Barz 1995: 148 und 208) wird die enge Verwandtschaft dieser Bildungen folglich auch immer wieder betont. Da es, wie weiter oben gezeigt wurde, unmöglich ist, bei Präfixverben beide Verfahren anzuwenden, könnte man folglich argumentieren, dass beide Verfahren in der Tat identische Resultate hervorbringen und dass beide auch in der Tat benötigt werden, um die Beschränkung bei den Präfixverben aufzufangen.

Wenn dies der Fall wäre, dann müßte man annehmen, daß es sich bei der Bildung von Nomen mit abwertender Bedeutung um einen eigenständigen Prozeß im Bereich der deverbalen Substantivierung handelt.

Muttersprachliche Sprecher empfinden, wie bereits weiter oben gesagt, Gesinge und Singerei als weitgehend synonym und bei diesem Beispiel wird man auch gewisse Schwierigkeiten haben, möglicherweise vorhandene Unterschiede zu identifizieren.

Allgemein ist jedoch zunächst zu fragen, welche situativen Voraussetzung für die Verwendung beider Formen erfüllt sein müssen. Zu Illustrationszwecken können durchaus die Titelbeispiele herangezogen werden, zumal sie auch, wie ich bei Recherchen in den Mannheimer Korpora feststellen konnte, ein recht hohe Frequenz haben. Zudem haben sie den Vorteil, daß mit Gesang und Tanz lexikalisierte Formen vorliegen, die eine Analyse erleichtern.

Der Gesamtbestand der abgeleiteten Nomen ist für beide Verben wie folgt

 

4 Ähnlichkeiten und Unterschiede

Um das Verfahren der Pejoration prononciert herauszustellen, sollen zwei litererarisch belegte Ereignisse[9] - der Tanz der Salome und der Gesang der Lorelei - als Beispiele dienen.

In 1. und 2. bewirkt die Qualität der Darbietung das Betörtsein, für 3. und 4. gilt dies jedoch nicht. Tanzerei/Singerei und Getanze/Gesinge betören nicht, sondern werden als störend und lästig empfunden (cf. auch Engel 1988: 515). Die Qualität, in der die Tätigkeit ausgeführt wird, ist mit Sicherheit ein wichtiger Faktor, aber sie ist allenfalls eine hinreichende und keineswegs eine notwendige Bedingung, denn Kunstbanausen könnten auch Schwanensee vom Bolschoiballet aufgeführt als Tanzerei oder Getanze abtun. Auch die Rennerei zu irgendwelchen Ämtern beim Verlust der Papiere wird ja in der Regel angemessen ausgeführt. Störend, lästig oder beides scheinen die grundsätzlichen Kriterien zu sein, die bei diesen Urteilen angewandt werden. Gewisse Defizite bei der Ausführung einer Tätigkeit kommen der Verwendung von Pejorativen aber zweifelsohne entgegen, da unsachgemäß ausgeführte Tätigkeiten eher das Potential haben, sui generis bereits als störend bzw. lästig empfunden zu werden.

Das subjektive Empfinden ist von daher ohne Zweifel der entscheidende Auslöser für die Verwendung dieser Formen.[12]

Um den möglichen Bedeutungsunterschieden auf die Spur zu kommen, scheint es nötig zu sein, zwischen 'störend' und 'lästig' klar zu unterscheiden. 'Störend' ist vorzugsweise das, was von anderen gemacht wird, 'lästig' ist jedoch eher auf das bezogen, was der Sprecher selbst tut oder zu tun gezwungen ist.

Dabei scheinen die Formen auf -erei beides abzudecken. Die Fahrerei, kann zum Beispiel als lästig empfunden werden (z. B. die Fahrerei jeden Morgen mit dem überfüllten Bus zur Arbeit) oder auch als störend (die Fahrerei der Jugendlichen mit ihren Motorrollern nächtens unter dem Fenster). Die Ge-e Derivata werden aber in erster Linie dann verwandt, wenn der Aspekt des Störenden überwiegt und wenn die Tätigkeit eben nicht vom Sprecher selbst ausgeführt wird. Das Getanze und Gesinge ist weitgehend störend, die Tanzerei und Singerei kann sowohl störend als auch lästig sein.

Ein weiteres Moment der Unterscheidung liegt in der Perspektive, aus der die Handlung wahrgenommen wird und zwar insofern, als hier zwischen einer sich aktuell vor den Augen des Sprechers vollziehenden oder vollzogenen Handlung und einer habituell durchgeführten differenziert werden kann.

Im ersten Beispiel kann sowohl die aktuell vollzogene Handlung gemeint sein als auch die, die gewohnheitsmäßig ausgeführt wird. Mit anderen Worten: Herodias, Salomes Mutter, könnte es anläßlich Salomes Vorführung denken oder auch angesichts der sich ständig wiederholenden Versuche, auf diese Weise Männer zu betören. In diesem zweiten Falle wird häufig eine Alternative mit gedacht. Also:

Für Getanze gilt jedoch nur die aktuelle Handlung, die jetzt und hier stört. Die Unterscheidung, die somit getroffen werden kann, wäre dann:

Folgendes kann also bisher zusammenfassend festgehalten werden:

a) der Ausführende kann die von ihm selbst ausgeführte (lästige) Tätigkeit durch ein pejoratives Nomen bezeichnen und wird dabei wahrscheinlich eher die Form auf -ei wählen, denn um für den Ausführenden selbst lästig zu werden, muß die Tätigkeit wiederholt werden oder länger andauern.

Der Aspekt des Lästigen scheint zudem bei den Formen auf -ei zu überwiegen, vermutlich deshalb, weil die Qalifizierung einer Tätigkeit als 'lästig' in dieser Form vorwiegend vom Ausführenden selbst vorgenommen werden kann und allenfalls mitfühlend - empathisch von einer zweiten oder dritten Person. (Diese Rennerei muß dir/ihr doch auf die Nerven gehen.) Für die Formen auf -ei ließe sich dann folgende Hypothese formulieren:

Formen auf -ei werden bervorzugt wenn

b) die Tätigkeit wird nicht vom Sprecher selbst ausfgeführt, wobei die Präferenz vermutlich bei Formen auf Ge-e bei direkt wahrgenommenen und auf -ei bei eher habituell vorgenommenen liegt. Mit anderen Worten, muttersprachliche Sprecher des Deutschen nehmen zwar bewußt keine klaren Abgrenzungen vor, werden sich aber intutitiv für eine der beiden Möglichkeiten nach Maßgabe der angeführten Kriterien entscheiden. Art und Form der Beteiligung des Sprechers am Geschehen haben dabei gewisse Bedeutung, genausso wie die Perspektive bzw. die Tatsache, ob es sich um habituell oder aktuell vorgenommene Tätigkeiten handelt.

Für die Formen auf Ge-e sähen die Annahmen dann folgendermaßen aus:

Formen auf Ge-e werden bevorzugt wenn

 

5 Exempla

Die folgenden Beispiel, anhand derer die oben formulierten Vermutungen geprüft werden sollen, stammen aus dem Mannheimer Corpus

In Beispiel 5 sind auf den ersten Blick keine Unterschiede zwischen a) und b) zu erkennen. Der erweiterte Kontext deutet jedoch darauf hin, daß Rennerei angemessener ist, da die Frau nicht durch einen Beinbruch oder Ähnliches zu Schaden kam, sondern durch den Streß, dem sie durch die lästige Tätigkeit ausgesetzt war. Hier liegt also der Fall vor, daß der Sprecher die Tätigkeit empathisch kommentiert.

In 6 Beispiel ist der Sprecher selbst der Ausführende und gibt entsprechend der Form auf -ei den Vorzug, ebenso wie in 7 Im achten Beispiel werden die Faktoren, die für die Wahl der Form den Ausschlag geben, deutlicher als in der anderen. Zum einen kommentiert der Sprecher von ihm selbst ausgeführte Tätigkeiten, zum anderen wird der habituelle Aspekt deutlich betont (monatelang), und zum dritten wird bei den anderen Nomina deutlicher, als dies bei Rennerei der Fall ist, daß die Formen auf Ge-e bevorzugt bei aktuell vollzogenen Tätigkeiten verwandt werden. Vor allem bei Geschreibe ist der Eindruck einer im Moment des Sprechens ausgeführten Tätigkeit besonders augenfällig (Nun laß mal das/dein Geschreibe und hör mir zu!). Auch in 9 und 10 ist die im Original verwendete Form klar an die Dauer bzw. Wiederholung der Tätigkeit gebunden. Die Unterschiede sind jedoch, soviel ist klar, nur in der direkten Gegenüberstellung augenfällig. Möglich wären in fast allen Fällen (nach Meinung der 'native speakers' auch die Alternativen auf Ge-e.

Beispiel 11 belegt die Stichhaltigkeit der weiter oben formulierten Vermutungen sehr deutlich. Der Sprecher kommentiert die Tätigkeit anderer, er beobachtet sie direkt - nämlich in seiner Eigenschaft als Theaterkritiker - und er empfindet sie als störend oder doch zumindest unangmessen. Dies gilt auch für 12, selbst wenn es hier nicht so klar auf der Hand liegt wie in 11. Aber auch hier führt der Sprecher die Tätigkeit nicht selbst aus, sondern beobachtet etwas, das auch nicht habituell vorgenommen wird. Der Wahlkampf ist ja der Anlaß, der, selbst wenn er sich eine Weile hinzieht, einen Ausnahmezustand darstellt. Deutlicher noch als in Beispiel 11 sind die Kritierien in 13 erfüllt. Wieder handelt es sich um eine Theaterkritik, mit der entsprechend definierten Position des Sprechers. Zudem wird die Tatsache, dass die Handlungen aktuell vorgenommen werden durch die Erwähnung ihres Veranlassers, des autoritären Vaters, dessen Befehle es (offensichtlich ohne Verzug) zu erfüllen gilt, stärker akzentuiert. Das letzte Beispiel (14) in dieser Reihe läßt die vermuteten Unterschiede kaum erkennen. Zwar handelt es sich um den Kommentar eines an dem Gerenne Unbeteiligten, aber unter Berücksichtigung der im Showgeschäft üblichen Positionswechsel wäre Rennerei durchaus zu vertreten. Der Aspekt der Aktualität wird nur durch den weiteren Kontext deutlich, in dem der Verfasser sich auf eine Beobachterposition zurückzieht und - ähnlich wie die Theaterkritiker - ein Geschehen beschreibt, das sich direkt vor seinen Augen abspielt.

Ein bisher noch nicht erwähntes Moment, das in den bisher angeführten Beispielen auch nicht so offensichtlich ist, möchte ich zum Schluß noch anführen: die unterstellte Ziel- bzw. Nutzlosigkeit der mit Ge-e-Formen beschriebenen Tätigkeiten. Ein Aspekt, der m. E. wesentlich deutlicher ist als bei denen auf -ei, wie sich auch am folgenden Beispiel recht klar zeigen läßt.

Gekichere und Gelache - vor allem Gekichere - haben schon allein aufgrund der Bedeutung der Basisverben ein recht großes Störpotential und sind zudem ausgesprochen nutz- und ziellos. Das obige Beispiel - wiederum aus einer Theaterkritik - identifiziert die Position des Sprechers/Autors eindeutig als die eines dem Geschehen direkt Beiwohnenden und sie wird auch nicht als solche habituell ausgeführt, sondern bedarf jeweils erneut eines Anlasses. Ersetzt man die beiden Formen durch Kicherei und Lacherei ergibt sich folgendes Bild:

Kicherei wird von muttersprachlichen Sprechern als ungewöhnlich empfunden, wahrscheinlich weil kichern keine Tätigkeit ist, von der man sich vorstellen kann, dass sie habituell ausgeführt wird, während dies bei lachen offensichtlich durchaus denkbar ist. Im Kontext allerdings konnten die befragten Muttersprachler sich jedoch nur die auch im Original benutzten Formen vorstellen, da die Aktualität der Handlung deutlich betont wird (... jede neue Szene).

 

6 Schlußbemerkung

Abschießend sei vielleicht noch folgende - eher anekdotische - Beobachtung angeführt. Beide Formen treten vor allem in der Kommunikation innerhalb von Familien recht häufig auf. In der Regel beschreiben Eltern mit ihrer Hilfe die Tätikgeiten ihrer Kinder, meist mit der Aufforderung verbunden, eben diese nun einzustellen. Diese Kombination - Aufforderung/Verbot und ein pejoratives Nomen - zeigt unter anderem, dass dort, wo die Möglichkeit besteht, auch Anstrengungen unternommen werden, die lästige oder störende Tätigkeit abzustellen.

Klare Unterscheidungen getroffen können bezüglich der Angemessenheit der beiden Formen nicht getroffen werden. Einige der angeführten Verdachtsmomente scheinen jedoch zuzutreffen und muttersprachliche Sprecher treffen ihre Auswahl dementsprechend nicht völlig willkürlich, sondern lassen sich durchaus von bestimmten Kriterien intuitiv beeinflussen. Womit sowohl die Schreiberei als auch das Geschreibe zu ihrem verdienten Abschluß kommen.

 

Anmerkungen

* Im Zusammenhang mit Harald Weydt kann weder das eine noch das andere verwandt werden. Sein Tanz ist durch Anmut, sein Gesang durch Wohlklang gekennzeichnet. [zurück]

1 Sowohl Diminutiva als auch Augmentativa haben potentiell eine deutlich pejorative Komponente. cf. dazu z. B. Harden (1997), Harden (1997a), Cunha/Cintra (1984) etc. [zurück]

2 cf. dazu Engel (1988: 515): "ei [...]t ein besonders produktives Femininsuffix. In den meisten Fällen kennzeichnet es ein Verhalten. Es tritt dann gewöhnlich in der erweiterten Form erei an Verben und hat häufig eine pejorative Komponente ('fortwährende, lästige Tätigkeit'): Huperei, Preistreiberei, Schinderei, Schönfärberei, Schreiberei, Singerei, Zauberei; in derselben Form und mit derselben Bedeutung tritt es an bestimmte Nomina: Lumperei, Schurkerei, Schweinerei, Spitzbüberei, Vielweiberei.
Bei verbalen Basen auf eln erscheint das Suffix dann, wieder mit derselben Bedeutung, als elei: Büffelei, Fachsimpelei, Frömmelei, Heuchelei, Hudelei, Hochstapelei, Kabbelei, Katzbuckelei, Liebelei, Mogelei, Plänkelei, Pöbelei, Schmeichelei, Schnüffelei, Schwindelei, Trödelei; in derselben Form und mit derselben Bedeutung tritt es an bestimmte Nomina: Deutschtümelei, Eulenspiegelei, Ferkelei. In vielen Fällen ist überhaupt nicht auszumachen, ob eine verbale oder eine nominale Basis vorliegt: Deutschtümelei etwa kann ebensogut vom Nomen Deutschtum wie vom Verb deutschtümeln abgeleitet sein.
In manchen Fällen kennzeichnet ei den Ort, an dem sich eine bestimmte Tätigkeit abspielt, oder eine Institution für bestimmte Vorgänge: Bäckerei, Bratwurstbraterei, Bücherei, Druckerei, Kanzlei, Sattlerei.
Seltener wird durch ei das Resultat einer Tätigkeit gekennzeichnet: Schmiererei, Stickerei.
Nur noch vereinzelt finden sich erstarrte Kollektivbezeichnungen auf ei: Reiterei." [zurück]

3 Ein Indiz dafür ist unter anderem in darin zu sehen, dass toponymische und pejorative Formen unterschiedlos auf ein Verfahren zurückgeführt werden. Aus einer diachronen Perspektive mag dies gerechtfertigt sein, synchron betrachtet drängen sich aber Zweifel auf, da in fast allen Fällen zwei Formen möglich sind, von denen die toponymische oft bereits seit geraumer Zeit lexikalisiert ist. Als Beispiel mag hier vorläufig Bäckerei vs. Backerei genügen. Bei Ableitungen mit Ge-e werden häufig kaum Unterschiede zwischen denen mit Suffix -e und denen ohne gemacht (cf. z. B. Wellmann 1975: 221f). Der Sprecher hat keineswegs, wie Wellmann behauptet, bei Gebrüll(e) die Wahl, das -e wegzulassen. [zurück]

4 Bei Fleischer/Barz (1995 148f) finden sich als Beispiele für 'Resultat eines Prozesses' mit pejorativer Komponente neben Schmiererei auch Reimerei und Schreiberei (im Gegensatz zu Häkelei und Stickerei, bei denen das abwertende Element fehlt). Stickerei als nomen actionis und nicht als nomen acti interpretiert ist allerdings eindeutig abwertend. Ebenso Häkelei. [zurück]

5 Fleischer/Barz (1995: 150 & 208f) konstatieren das Konkurrenzverhältnis zwar, schließen jedoch keine weiteren Überlegungen hinsichtlich möglicherweise vorhandener Unterschiede an. cf. dazu auch die weitgehend deskriptive Behandlung beider Derivationsmöglichkeiten bei Wellmann (1975: 221f) [zurück]

6 Bezüglich der Aktionsart soll nur soviel gesagt werden: Imperfektive Verben können allgemein eher als Basis dienen als Perfektive, wobei die iterativen Verben eine ganz besondere Affinität zu dieser Derivationsart zu haben scheinen.

7 Die im folgenden immer wieder angeführten 'muttersprachlichen Sprecher' sind Kollegen am Department of German, University College Dublin. Ihre Aussagen haben - wegen der begrenzten Anzahl Probanden - quantitativ-statistisch gesehen keine sonderliche Signifikanz, sondern eher die Funktion, meine eigene 'native speaker intuition' zu bestätigen oder zu relativieren. [zurück]

8 Bei Verben mit trennbaren Präfixen besteht die Möglichkeit der kombinierten Derivation, allerdings wird das ge- in diesen Fällen zum Infix.

9 cf. hierzu Heinrich Heines Loreley und Oscar Wildes Salome [zurück]

10 So steht es auch bei Heine. "Das hat mit ihrem Singen die Lorelei getan." [zurück]

11 Bekanntlich in solchem Maße, dass Jochanaan auf ihren Wunsch hin enthauptet wurde. [zurück]

12 Das Gehämmere und Gebohre in der Nachbarwohnung stört, selbst wenn es äußerst sachkundig ausgeführt wird. [zurück]

 

Literaturangaben

Cunha, Celso Ferreira da /Cintra, Luís F. Lindley (1984): Nova Gramática do Português Contemporâneo. Lisboa.

Engel, Ulrich (1988): Deutsche Grammatik. Heidelberg.

Fleischer, Wolfgang/Barz, Irmhild (1995): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl. Tübingen.

Harden, Theo (1997): "Das portugiesische Diminutiv und die deutschen Modalpartikeln. Einige Überlegungen zu ihren deiktischen Funktionen". Runa 26: .

Harden, Theo (1997a): "Gebrauch und Funktion von Diminutiv- und Augmentativformen im Portugiesischen und Deutschen". In: Lüdtke, Helmut/Schmidt-Radefeldt, Jürgen (eds.) (1997): Linguistica contrastiva. Tübingen: .

Hentschel, Elke/Weydt, Harald (1994): Handbuch der deutschen Grammatik. 2. Aufl. Berlin.

Oh, Ye-Ok (1985): Wortsyntax und Semantik der Nominalisierung im Gegenwartsdeutsch. Konstanz.

Wellmann, Hans (1975): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Düsseldorf.


 Linguistik online 13, 1/03

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