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Fokusdomäne von Gradpartikeln im Deutschen und Russischen

(Frankfurt am Main)


Im folgenden Text wurde für die Darstellung des Russischen die englische Transliteration benutzt.



0 Einführung

Gradpartikeln, um deren syntaktische Eigenschaften es hier geht, werden als eine lexikalisch eigenständige Gruppe von Fokuspartikeln behandelt. Es sind die Partikeln der Gruppen sogar/dazhe, die hier 'Gradpartikeln' genannt werden (siehe unter 1.1). Sie lassen sich im Rahmen eines skalaren Modells paradigmatisch anordnen. Die Kernlexeme der Gradpartikelgruppen im Deutschen (sogar) und russischen (dazhe) treten in allen ihren Verwendungen als skalare Fokuspartikeln auf. Im Unterschied zu anderen ihnen semantisch nahestehenden Fokuspartikeln (z.B. restriktiven wie nur/tol'ko, additiven wie auch/tozhe) sind Gradpartikeln (GP'n) nicht als Hauptakzentträger geeignet und können nicht im unmittelbaren Skopus der Negation nicht/ne vorkommen (von Sonderfällen im Dt. abgesehen, in denen der Negation primär eine andere als negierende Funktion zukommt: Ist das nicht sogar amüsant? Zehn, wenn nicht sogar fünfzehn.), die Russ. Negationspartikel ni ... ni bildet hierfür eine Ausnahme (ni dva, ni dazhe tri turnira/weder zwei, noch gar drei Turniere).

Die Funktion und die Syntax der Gradpartikeln (GP'n) hängen eng mit dem Phänomen 'Fokus' zusammen. Fokus steht für das, was der Sprecher in der Aussage besonders betonen will, also dem Material, welches der Sprecher hervorhebt. Diese Hervorhebung erfolgt in Sprachen wie Deutsch und Russisch prosodisch und äußert sich meistens auch durch Wortfolgeanpassungen.

Die Bezugskonstituente einer Gradpartikel läßt sich stets als Fokusdomäne des Hauptakzents im Satz auffassen. Die Bestimmung der Grenzen der Fokusdomäne stellt ein zentrales Problem dar. Die gängigen Syntaxtheorien zu Fokus orientieren sich an der Tatsache, daß Fokus pragmatisch zugewiesen wird. In der Syntax wird entweder versucht, zu bestimmen, welcher Knoten - von oben nach unten gesehen ('top down') - das Merkmal Fokus bekommt (vgl. Rosengren 1993; Junghanns/Zybatow 1995) oder mit Hilfe von Fokusprojektionsregeln (Selkirk 1995 u.a.) vorauszusagen, wie hoch die Projektion geht, also im Verfahren von unten nach oben ('bottom up'). Zwar haben die top-down-Theorien mehr Anspruch darauf, die Grenzen der Fokusdomäne fixieren zu können, jedoch bleibt diese Angelegenheit dem kontextuellen Zusammenhang und der Frage-Antwort-Relevanz überlassen.

Die Analyse von Gradpartikelsätzen veranlaßt zur Frage, ob und inwiefern die Position einer Gradpartikel den Umfang einer Fokusdomäne einschränken oder deutlicher machen kann. Vorhandene Forschungsergebnisse bestätigen die seit langem bekannte Annahme, daß eine GP möglichst nahe zur ihrem eigentlichen Bezugselement platziert werden soll. Das Deutsche und das Russische differieren recht stark in Bezug auf zulässige Positionen für Partikeln bezüglich des Fokusexponenten, d.h. des Trägers des Hauptakzents. Hierbei haben bestimmte GP'n eigene Regeln, so platziert z.B. das russ. i als negative GP stets links des Fokusträgers, also des eigentlichen Fokusexponenten, während dazhe sehr flexibel sein kann. Die negative Gradpartikel nicht einmal kann als Adjunkt einer Quantifikatorphrase oder einer Adjektivphrase innerhalb einer Präpositionalphrase vorkommen; im Russischen ist eine entsprechende Option für i bzw. ni ausgeschlossen.

Der syntaktische Status der Phrase (oder des Elements), welche(s) am ehesten als Fokus in Frage kommt, ist entscheidend, um festzustellen, um welche Fokusdomäne es sich handelt. Hierbei sind Unterscheidungen zwischen Kopf, Argument und Adjunkt grundlegend (vgl. Selkirk, 1995). Die relative Transparenz dieser Ordnung trifft vor allem für das Deutsche zu. Das Russische - vor allem in seinen umgangssprachlichen Varianten - offenbart eine stark prosodisch bedingte Ordnung dafür, welche Positionen für Gradpartikeln zugänglich sind.

Im Punkt 1 dieses Artikels stelle ich den Hintergrund zu GP'n dar. Im Punkt 2 werden die einschlägigen Theorien zur Informationsstruktur vorgestellt und im Punkt 3 erfolgt die Analyse der Gradpartikelpositionen vom Standpunkt ihres Bezugs zur Fokusdomäne.


1 Gradpartikeln: neuere Geschichte und Beschreibungsmethoden

1.1. Gradpartikeln - Name für die lexikalische Gruppe um sogar/dazhe

Die Bezeichnung 'Gradpartikeln' kommt in der entsprechenden Literatur als Oberbegriff für Partikeln wie auch, nur, sogar vor, also für restriktive, additive und skalare Fokuspartikeln. Es gibt keine legitime allgemein anerkannte konkrete Festlegung, was Gradpartikeln sind. Der Begriff 'Gradpartikeln' geht auf Altmann (1976, 1978) zurück, der ihn für Partikeln der Gruppen auch, nur, sogar sowie Partikeln wie ausgerechnet, genau ... verwendet hat. Die wichtigste gemeinsame Eigenschaft dieser Partikeln ist, daß sie sich in der Regel auf einen Teil des Satzes beziehen, der den Fokus, also den Hauptakzent im Satz, enthält, z.B. (die betonte Silbe des Fokusexponents ist mit Großbuchstaben gekennzeichnet:

(1.1.0) a. Marcel schreibt sogar FOKUS[GeDICHte].
  b. Marsel pishet dazhe FOKUS[stiXI].
    Marcel-NOM schreibt sogar Gedichte-AKK.

Später wurde der allgemeinere und transparentere Name Fokuspartikeln für eine größere Gruppe von Partikeln (einschließlich der Altmannschen Gradpartikeln) von König (1991b, 1993) eingeführt. So bestehen zwei Bezeichnungen nebeneinander ohne sich völlig zu decken.

Daher erscheint es möglich, die Bezeichnung Gradpartikeln neu zu definieren, indem sie nur auf sogar/dazhe Gruppen beschränkt wird. Die Semantik des Namens erscheint damit rechtfertigt zu werden, zumal die Partikeln dieser Gruppe als polare Marker verstanden werden, also als solche Elemente, deren Funktion letztlich auf Kundgabe des Ausprägungsgrades einer - oft komplexeren - Eigenschaft zurückzuführen ist. Dabei ist 'Eigenschaft' zum einen semantisch als Funktion, d.h. ein Prädikat unterschiedlich komplexer Art, und zum anderen konzeptuell als ein skalendefinierendes Konstrukt zu verstehen. Gradpartikeln können also verschiedene Phrasen zu quantifizierenden Phrasen machen. Der dabei entstehende quantifizierende Effekt, also ein Bezug zu einer Menge, geht mit einem skalaren Effekt einher, d.h. daß die Mengewerte jeweils eine geeignete lineare Ordnung darstellen. Prominente 'Randwerte' einer solcher Ordnung sind geeignete Fokuswerte für Gradpartikeln.

Zwar lassen sich die Partikeln der Gruppen auch und nur ebenfalls skalar verwenden, wie schon Altmann (1976) und Jacobs (1983) gezeigt haben, jedoch sind deren skalare Interpretationen gänzlich durch die kontextuellen Faktoren bedingt. So möchte ich nur solche Partikeln unter Gradpartikeln verstehen, deren lexikalische Semantik auf skalare Interpretationen ausgerichtet ist und monotone Schlüsse in Bezug auf andere Skalenwerte erlaubt. Skalare Fokuspartikeln haben somit einen "eigenen" Namen - Gradpartikeln.

Hier und in Poljakova (1999, 2000 und in Vorber.) wird der Terminus Gradpartikeln also auf eine streng umrissene Gruppe von Fokuspartikeln angewandt (nämlich auf Fokuspartikeln mit skalierender Interpretation und mit polaren Implikaturen), deren Verwendung mit Ausprägungsgrad einer Eigenschaft bzw. mit dem Grad der Gewichtigkeit des Arguments zu tun hat. Es sind die folgenden Fokuspartikeln:

(1.1.1)   Dt.: Sogar, selbst, schon, allein, nicht einmal, auch nur(gar, geschweige denn1, ganz zu schweigen von)
    Russ.: Dazhe, (dazhe) (n)i, xot', odintol'ko, (negovorjauzheo, o (...) igovorit' nechego)

1.2 Polarität, Skala und Fokus

Polarität

Die Aufrechterhaltung des Namens "Gradpartikeln" ist also damit zu begründen, daß es um Partikeln geht, die einen gemeinsamen Zug in ihrer Funktion haben. In Poljakova (in Vorber.) wird gezeigt, daß sich ihre Semantik sowie pragmatische Eigenschaften in einem Modell erfassen lassen. Die Grundsteine dafür sind Polarität und ihre logischen und pragmatischen Eigenschaften. Polarität läßt sich pragmatisch und semantisch deuten. Pragmatisch wird Polarität meistens im Zusammenhang mit Abweisung bzw. Zustimmung oder mit dem positiven oder negativen Modus einer Aussage verstanden. Der Skopus der Polarität kann jedoch auch enger als ein Satz sein z.B. in infiniten Phrasen mit ohne im Dt. (ohne ein Wort zu sagen) und entsprechend mit Gerundia im Russ. (ne govorja ni slova). Im Dt. kann sich Negation innerhalb von Präpositionalphrasen integrieren, wenn diese eine QP oder eine AP enthalten (z.B.: in nicht einmal drei Stunden).

Die Polarität in Aussagen mit GP'n läßt sich mit Hilfe eines (unterschiedlich komplexen) zu graduierenden Prädikats festhalten und gilt daher als semantisch fixiert. Das zu graduierende Prädikat läßt sich mit einem Skalenabschnitt identifizieren. So weisen die Prädikate wenig, schlecht / malo, ploxo in der Regel negative Polarität auf, während viel, gut/ mnogo, xorosho eine positive besitzen. Bei Dimensionsadjektiven wie klein/malen'kij; kurz/korotkij ist normalerweise die negative Polarität vorauszusetzen, bei ihren Gegenpendants groß;/bol'shoj, lang/dlinnyj die positive. Daß ein Zusammenhang zwischen Polaritätstyp und Semantik des Prädikats besteht, zeigt sich am besten an den Umkehrprädikaten. Umkehrprädikate wie genug sein/byt' dostatochnym verleihen den quantitativ basierten Prädikaten wie wenig/malo sowie klein/malen'kij; kurz/korotkij positive Polarität (vgl. hierzu am russ. Material auch I.Boguslavskij, 1996:368f.).

Läßt sich kein konkretes Prädikat als Bezug und Skalenbasis bestimmen, wird die Polarität der Gradpartikelaussage mit der Richtung zum Anfang der Skala (im Normalfall negative Polarität) oder zum Ende der Skala (im Normalfall positive Polarität) assoziiert.

In Poljakova (1999, 2000 und in Vorber.) wird dafür plädiert, daß eine Gradpartikel wie sogar nicht nur mit positiver Polarität einhergeht, wie Altmann (1978: 127) vermutet hat, sondern - in entsprechenden Verwendungen - auch mit negativer2 (Altmann stellte mit Verweis auf König für auch nur negative Polarität fest).

Skala

Die undurchschaubare Skala, auf der sich polare Werte identifizieren lassen und die sich meist erst im Kontext feststellen läßt, hat zwei Dimensionen, wie von Kay (1990) gezeigt wurde. Mit Hilfe einer Skala wird die Rangordnung festgemacht, die objektiv, subjektiv und kontextbedingt sein kann. Ich gehe davon aus, daß eine GP einem fokussierten Wert einen ranghöheren oder einen niedrigen Platz zuweist, oft ohne daß weitere Werte explizit genannt werden. Der Kontext zeigt, welche Werte einschlägig sind und wie die Basis der Skala ist.

Es ist nicht immer ausreichend, lediglich den Satzinhalt als Basis für die Skala zu haben. Es gibt im Kontext eine Instanz, auf die sich die Skalenkonstitution zurückführen läßt. Je kleiner die Fokusdomäne, auf die sich eine GP bezieht, desto einfacher ist die Voraussage über das Argument des zu graduierenden Prädikats und die Skalenkonstitution. So ist in ((1.2.1)a. & (1.2.2)a.) - wo ein Intensifikator, also ein Adjunkt ganz/sovsem als Argument auftritt, die zu graduierende Eigenschaft kalt (geworden)/ostyl, also die Kälte bzw. der Kältegrad. In ((1.2.1)b. & (1.2.2)b.) ist der ganze Satz die Fokusdomäne der GP, das Argument und die zu graduierende Eigenschaft lassen sich nur aus dem Kontext erfahren (möglich wäre: zu langes Gespräch etc.). Jeweils in (c) und (d) in (1.2.1) und (1.2.2) ist das Subjekt der Tee/chaj als Fokusdomäne konzipiert. Das Argument des zu graduierenden Prädikats ist nicht die Verbalphrase [ist ganz kalt geworden] / [sovsem ostyl], sondern ein generalisierter Quantor, hier in (1.2.1) und (1.2.2) jeweils d) als Allquantor verstanden. Der generalisierte Quantor stellt die zweite Skalendimension zur Verfügung. Sätze wie unter (c) und (d) haben nur in solchen Kontexten Sinn, wo mindestens ein weiterer Alternant neben Tee vorhanden sein muß, vom dessen Kaltwerden die Rede sein kann (Kuchen, Kaffee etc.).

(1.2.1) a. Der Tee ist sogar FD[GANZ] kalt geworden.
  b. FD[Der TEE ist sogar ganz kalt geworden].
  c. ? FD[Der TEE] ist sogar ganz kalt geworden.
  d. Sogar FD[der TEE] ist ganz kalt geworden.
     
(1.2.2) a. Chaj dazhe FD[sovSEM] ostyl.
    Tee-NOM sogar ganz erkaltete.
  b. FD[CHAJ dazhe sovsem ostyl].
  c. ?FD[CHAJ] dazhe sovsem ostyl.
  d. Dazhe FD[CHAJ] sovsem ostyl.

Die Bezugskonstituente einer GP konkretisiert den Ausprägungsgrad einer Eigenschaft. So ist der durch den Hauptakzent realisierte Fokus (genauer: die Fokusdomäne) in einem Gradpartikelsatz mit einer graduierenden Funktion verbunden, die recht komplex ist und auf der Satzebene bzw. Kontextebene realisierbar und verstehbar ist. Die Festlegung des Polaritätsmodus ist die Voraussetzung dafür, daß eine Graduierung möglich ist. Der Denotationsbereich wird somit festgelegt und aus den Elementen des Denotationsbereichs kann eine Skala aufgebaut werden.

Diese komplexere Sichtweise des Zustandekommens von Skalen ist im Einklang mit dem Vorschlag aus einer neueren Arbeit von Rooth (1995:267f.), der zwei Argumente für Partikeln wie even/sogar vorsieht. Das eine davon ist Fokus (die Konstituente, die das Fokusmerkmal hat) - das echte Argument, das andere - das unechte Argument - ist die Kontextvariable C. Rooth hebt hervor, daß nicht die Partikel eine Fokussierung - und somit eine Markierung der Quantifikationsdomäne - hervorruft, sondern der Kontext, in dem die Kontrastierungsoption enthalten ist:

    "(...) the domain of quantification is fixed pragmatically, without reference to grammatically determined information." (Rooth, 1992: 109).

Eine Gradpartikel dient dazu, dem fokussierten Ausdruck einen skalaren Wert zu verleihen.

Neutraler und markierter Fokus

Unter Fokus wird prosodisch stets der Hauptakzent samt seiner Fokusdomäne im Satz verstanden, welcher syntaktisch geregelt ist. Je nach dem, ob und wie hoch der Fokus - als Merkmal - weitergegeben werden kann, entsteht eine sog. Fokusprojektion in einer bestimmten Größe (DP, PP oder eine VP-Ebene) und dementsprechend ein neutraler (grammatischer, unmarkierter) oder markierter Fokus (vgl. Selkirk, 1995: ), z.B.:

(1.2.3)   Neutraler Fokus Markierter Fokus
    DP'n, PP'n
  a. [ein großer blauer BALL] [ein GROßer blauer Ball]
  b. [zwei große blaue BÄlle] [zwei GROße blaue Bälle]
  c. [die zwei großen blauen BÄlle] [die zwei GROßen blauen Bälle]
  d. [in einer kleinen STADT] [in einer KLEInen Stadt]
(1.2.4)   VP'n
  a. Hans hat [einem Kind ein BUCH geschenkt]. Hans hat [einem KIND] ein Buch geschenkt.
  Ivan [(kakomu-to) rebJONku] knigu podaril.
      Ivan (einem) Kind-DAT Buch-AKK schenkte 
  b. Hans hat [Maria ein BUCH geschenkt]. Hans hat [MARIA] ein/das Buch geschenkt.
  Ivan [MaRII] knigu podaril.
      Ivan Maria-DAT Buch-AKK schenkte 

Die Begriffe neutraler und markierter Fokus deuten an, ob die Fokusdomäne deakzentuiertes Material enthält (der Terminus "Deakzentuierung" geht auf Ladd 1978 zurück). Wenn es sich um einen prädiktablen, also grammatischen Fokus handelt, gibt es kein deakzentuiertes Material in der Fokusdomäne. Bei markiertem Fokus ist es notwendigerweise so, daß mit deakzentuiertem Material zu rechnen ist (nach Ladd 1996 trifft das für viele, aber nicht für alle Sprachen zu, vgl. hierzu Hartmann (1998: 135)).

Wenn ein Satz einen markiert plazierten Hauptakzent enthält, ist damit zu rechnen, daß die Kandidaten für den neutralen Akzent aus pragmatischen Gründen deakzentuiert werden mußten oder sogar getilgt werden konnten. Hierbei ist jedoch zwischen Fokusdomänen in der Größe einer VP-Projektion andererseits und DP- bzw. PP-Formate andererseits zu unterscheiden. Ein DP- oder PP-Fokus ist zweifach auf Markiertheit zu prüfen: bezüglich der VP (ausgenommen des Topiks bzw. des Restriktorbereichs) und bezüglich der DP oder der PP, die den Fokus enthalten. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: entweder wird ein VP-Fokus realisiert oder ein DP bzw. PP-Fokus. Die Trägerkonstituente des neutralen Fokus kann auch als markierter Fokus fungieren, je nach dem welche Projektionsebene der Fokus umfasst - die VP oder die DP bzw. PP. Wenn der Fokus auf einer DP bzw. PP projiziert, ist vor allem deakzentuiertes Material innerhalb dieser DP oder PP zu berücksichtigen, und nicht etwa die ganze restliche VP ausgenommen des (unbetonten) Topiks.

1.3 Positive und negative Gradpartikeln

Fokuspartikeln sind ein universelles sprachliches Phänomen (vgl. König, 1991a: 786; 1993: 981). So gibt es zwar Unterschiede in Bezug auf die Anzahl der lexikalischen Einheiten innerhalb der Gradpartikelngruppen, jedoch ist in der Regel mindestens ein Lexem vorhanden - wie dt. sogar, russ. dazhe, engl. even oder französisch même, das die Kategorie konstituiert. In Sprachen wie dem Deutschen ist diese Gruppe lexikalisch reich, weil es zum einen eine Reihe von mit sogar bedeutungsähnlich verwendbarer Lexeme gibt, und zum anderen eine komplexe Gradpartikel nicht einmal vorhanden ist.

Anhand des Deutschen und Russischen ließ sich die Annahme bestätigen, daß innerhalb der Gruppe eine Ordnung besteht, die zum Teil auf Relationen im aristotelischen Quadrat (duale Relationen, vgl. Löbner 1990) zurückzuführen ist, aber vor allem durch eine semantisch-pragmatische polare Ordnung motiviert ist. Anhand des Russ. sowie anderer Sprachen läßt sich bestätigen, daß die komplexe negationshaltige Gradpartikel (im weiteren "negative Gradpartikel") auf eine bestimmte polare Implikatur spezifiziert ist (Details in Poljakova in Vorber.).

(1.3.1) a. In der Bar gab es sogar keine COla.
  b. In der Bar gab es nicht einmal COla.
  c. V bare ne bylo dazhe KOly.
    In Bar NEG. war sogar Cola-GEN.
  d. V bare ne bylo dazhe i KOly.

In Sprachen, die keine spezielle komplexe negative Gradpartikel wie dt. nicht einmal haben, wird derselbe Effekt mit entsprechenden Kombinationen des Stammlexems der Gruppe (even, même, dazhe) und eines negativen (ne, ni) bzw. eines negativ-polaren Elements (i, xot') erreicht. Dieser Effekt tritt dann ein, wenn Gradpartikel und Negator einen gemeinsamen Fokus haben, d.h. wenn die Fokusdomäne gleichzeitig im Skopus der Negation und der Gradpartikel ist. Im Dt. ist nicht einmal eine solche negative Gradpartikel, die adverbal, adnominal und adattributiv verwendbar ist. Es gibt eine Fügung sogar kein, seltener sogar nicht, wenn die reguläre positive Gradpartikel an die Negation tritt.

Im Russ. bedarf es einer zusätzlichen lexikalischen Markierung des Negationsskopus durch i, während die Satznegation stets ans Verb klitisiert ist. In Sprachen wie Englisch oder Französisch gibt es keine besondere feste lexikalische Einheit wie nicht einmal im Dt, die als ganzes wie eine negative Gradpartikel verwendbar wäre. Daher fungiert in diesen Sprachen die Skopushierarchie - nämlich Negation über positive Gradpartikel (even, même) - wenn es darum geht, einen pragmatischen Effekt auszulösen, nämlich eine für negative Gradpartikeln typische Implikatur zu signalisieren, z.B.:

(1.3.2) Dt.: Sogar SANdra ist gekommen.
  Engl.: [SANdra] even came.
    [SANdra] has even come.
     
  Dt.: Nicht einmal SANdra ist gekommen.
  Engl.: Not even [SANdra] has come.
    Not even [SANdra] came.
    [SANdra] didn't even come. oder: Sandra didn't even [COme].
     
  Dt.: Sogar SANdra ist nicht gekommen.
  Engl.: Even SANdra didn't come.
    Even SANdra hasn't come.
     
  Dt.: Paul hat sogar KUchen gegessen.
  Franz.: Paul a même mangé des gâteux. (Nølke (1983:61; Bsp. (43))
     
  Dt.: Pierre hat nicht einmal [eine einzige Aufgabe gelöst].
  Franz.: Pierre n'a même pas [résolu un seul problème].

Für Sprachen ohne Negationskonkord sind also Skopusverhältnisse zwischen Negation und Gradpartikel entscheidend. In Sprachen mit Negationskonkord (wie Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Slovakisch, Italienisch etc.) - oder mit teilweise skopusbedingtem Negationskonkord (wie im Spanischen) - ist die Skopushierarchie zweitrangig, weil ein lexikalischer Marker - als Anzeiger für die Reichweite der Negation, genauer gesagt über ihren pragmatischen Einfluß auf die Fokusdomäne, zur Verfügung steht.

1.4 Wie lassen sich GP'n grammatisch beschreiben?

Bisher lassen sich in syntaktischen Arbeiten keine Hinweise darauf finden, daß es bei der Gruppe um sogar - also bei Gradpartikeln in meinem Sinne -um eine Gruppe mit besonderen Eigenschaften handelt, abgesehen von der Arbeit von Altmann (1976). Es wird jedoch immer wieder festgestellt, daß syntaktische Fakten bei verschiedenen Partikeln sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. Reis/Rosengren, 1997; implizit Büring/Hartmann 2000). So versuche ich für eine semantisch homogene Gruppe - wiewohl mit einer internen Ordnung - die Regeln für ihre Integration in die syntaktische Struktur zu präzisieren, und zwar unter Bezugnahme auf informationsstrukturelle Regularitäten.

Gradpartikeln sind propositionsbezogen und interagieren mit dem Fokus im Satz. Der Fokus stellt den Restriktorbereich einer Gradpartikel dar. Die semantisch komplexe Eigenschaft, ein propositioneller Operator und ein Quantor zugleich zu sein, läßt sich nur schwer auf die Syntax übertragen.

Die Assoziationsbeziehung zwischen Partikel und Fokus läßt sich nicht ohne weiteres in der Syntax mittels Bewegungen regularisieren. Rooth (1985) kommt letztlich zum Schluß, daß die Assoziation zwischen Partikel und Fokus infolge der Abbildung der Denotation der Partikel auf die Denotation der lambdaabstrahierten VP zustande kommt. Wie auch Bayer (1996: 29) sagte, ist die Beziehung zwischen der Partikel und der Fokuskonstituente nicht zufällig (wie es die einfache Skopustheorie vorsieht), sondern sie folgt daraus, wie p-Sets, d.h. Propositionen mit Variablenstellen, organisiert sind und aus der quantifikatorischen Natur der Partikel selbst.

Syntaktisch strengere Vorschläge - die wenige Adjunktionspositionen erlauben - vernachlässigen die Ambiguitäten und die verschiedenen möglichen Positionen, bieten jedoch eine recht attraktive Generalisierung (vgl. hierzu Büring/Hartmann, 2000). Wenn viel Flexibilität in der Syntax zugelassen wird, werden Einschränkungen für die Syntax in Kauf genommen, dafür wird viel Transparenz geboten und Ambiguitäten aufgelöst.

Die Position einer Gradpartikel ist im Dt. und Russ. via Relation zu Fokuskonstituente geregelt. Diese Relation läßt sich pragmatisch, semantisch, syntaktisch (und prosodisch) nachweisen. Daher können 1) Fragetests eingesetzt werden, um den Denotationsbereich der GP zu präzisieren; kommen 2) unbetonbare Elemente mit indefiniter Referenz aus semantischen Gründen nicht als Fokusexponente in Frage; sollten 3) syntaktische und prosodische Regeln aufstellbar sein, die die Relation auf entsprechenden Ebenen zu erkennen ermöglichen.

Die Syntax - und die Prosodie - einer Sprache sehen Regeln vor, nach denen sich Gradpartikeln in die Strukturen einbetten. Die Fokuskonstituente gilt als Ganzes als Fokusdomäne oder enthält den Fokus und deakzentuiertes Material. Die Fokusdomäne ist zugleich die prosodische Domäne des Hauptakzents. Sie fungiert für die Operatoren des Typs "Gradpartikel" als Restriktor.

In diesem Artikel und in Poljakova (in Vorber.) wird davon ausgegangen, daß sich Bedeutung und grammatische Charakteristika einer Gradpartikel nur im Rahmen einer kontextbezogenen Sprachtheorie adäquat charakterisieren lassen, die eine Ebenenunterscheidung anerkennt, jedoch um eine liberale Lösung bemüht ist. So ist auf der einen Seite nahezu evident, daß der Bezugsbereich einer GP, also der Fokus des Satzes, nicht anders als aus dem kontextuellen Zusammenhang zu erschließen ist (Fragetest). Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Reihe von Regularitäten, die viele Konstellationen in der Satzstruktur auf eine Weise prädiktabel machen. Für unsere Zwecke ist die sog. Informationsstrukturtheorie von Nutzen, da sie die Verhältnisse zwischen textuellem Zusammenhang und der Satzgrammatik beschreibt. Informationsstrukturtheorie liefert Erkenntnisse der Art, die als Basisdaten für die Beschreibung der Grammatik der Gradpartikeln gelten können. Der letzte Stand der Dinge (z. B.: Büring/Hartmann 2000) ist, daß die Syntax nicht in der Lage ist, all den semantischen Differenzen nachzugehen, auch wenn die Autoren eher dazu neigen, zu sagen, daß es keine semantischen Unterschiede da sind, die sich formal nachrechnen ließen.


2 Theoretische Grundlagen

2.1 Syntaktische Vorgehensweisen und Annahmen

Altmann (1978:108) vertritt die Meinung, daß es sich bei Gradpartikeln stets um Kontrastfokus handelt, also um einen solchen, der eine Assoziation zu Mengen induziert. Die Assoziation zu Mengen ist der wichtigste Punkt in der Semantik solcher Partikeln. Die Syntax der Gradpartikeln baute Altmann auf der Analyse der Konstellationen "Partikel in Relation zu Skopus", welcher den Fokus enthält, auf. Seine Ergebnisse bilden einen guten Überblick über die Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten.

In späteren Arbeiten - Jacobs (1983), Bayer (1996), Reis/Rosengren (1997), Büring/Hartmann (2000) - wurde mehr Bezug auf die Syntaxtheorie genommen und dadurch der Rahmen der Beschreibung von Lexemen wie only/nur, even/sogar strenger ausgearbeitet. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage nach dem Status der Fokuspartikeln: Phrase oder Kopf einer funktionalen Projektion. Die Annahme, daß Fokuspartikeln maximale Phrasen sind, die sich per Adjunktion in eine Struktur einfügen lassen, erscheint attraktiver zu sein, da sie mehr Fakten - je nach Syntaxmodell fast alle - erklären kann. Unter syntaktischen Analysen sind solche zu unterscheiden, die die Ebene der Logischen Form mit einer QR- oder QR-ähnlichen Bewegung annehmen und solche, die versuchen, nur die Oberflächenstruktur zu interpretieren, jedoch mit Rückgriff auf Rekonstruktion (Büring & Hartmann, 2000).

Meine Analyse orientiert sich an der Frage, wo - und unter welchen Bedingungen -eine GP relativ zu Fokusdomäne platziert werden darf; dabei sollen die umgangssprachlich zulässigen Varianten (z.B.: b. & e.; d. & h. in (2.1.1)) ebenfalls berücksichtigt werden, da sie einen vollständigeren Überblick über die Variationsbreite verschaffen.

(2.1.1) a. Lukas hat gestern sogar [ein BILD gemalt].
  b. Lukas hat gestern [ein BILD gemalt] sogar.
  c. *Lukas hat sogar [gestern ein BILD gemalt].
  d. [Ein BILD] sogar hat Lukas gestern gemalt.
  e. Ljosha dazhe [narisoval vchera karTInu].
    Ljoscha-NOM sogar malte gestern Bild-AKK
  f. Ljosha [karTInu vchera narisoval] dazhe.
  g. *Ljosha dazhe [vchera narisoval karTInu].
  h. Ljosha [KarTInu dazhe vchera narisoval].

Eine der komplizierten Problemen für die GP-Syntax bleibt die Distanz zwischen GP und Fokusexponent. Die gängigste Erklärung dafür ist die Relation c-Kommando (auf der syntaktischen Oberfläche oder auf der LF). Durch c-Kommando allein kann jedoch nicht erklärt werden, warum eine GP näher an den Fokusexponenten rückt. C-Kommando ist eine strukturelle Relation, die einzuhalten ist, während eine externe, ja pragmatische Steuerung für Partikelpositionen ihr überlegen zu sein scheint.

(2.1.2) a. Er hat sogar [einen geKANNT].
  b. Er hat einen sogar [geKANNT].
  c. On dazhe [odnogo ZNAL].
    er-NOM sogar einen-AKK kannte 
  d. Odnogo on dazhe [ZNAL].

Jacobs (1983) hat sich auf die Erklärung von Phänomenen Kontaktposition - Distanzposition hinsichtlich der Bezugskonstituente konzentriert. Der Einfachheit halber übernehme ich diese Bezeichnungen. Kontaktposition ist in der Regel als eine mit unmittelbarem c-Kommando zu verstehen, hierzu zählen auch Fälle der rechten Adjunktion an den Fokusexponenten. Distanzposition liegt vor, wenn zwischen GP und Fokusexponent einige (mit explizitem Material besetze) Ebenen vorhanden sind. Jacobs Erklärung baut auf Restriktionen für die Elemente auf, die zwischen GP und Fokusexponent stehen können. Jacobs (1983) hat angenommen, daß die Elemente zwischen der Gradpartikel und dem fokussierten Ausdruck nicht rhematisch prominent sein dürfen, damit sie vom Fokus (im Sinne syntaktisches Fokusmerkmal) "übergangen" werden. Jacobs setzt voraus, daß das Fokusmerkmal von oben nach unten bis zum geeigneten Fokusträger 'weitergegeben' wird. Wenn bestimmte Elemente, nämlich Nicht-Bereichsträger im Sinne von Jacobs (1983: 83), "im wesentlichen - Namen, Pronomina und satzwertige Ausdrücke (z.B. daß-Terme)", die vom Fokus nicht übergangen werden dürfen, zwischen der Gradpartikel und dem (geplanten) Fokusträger (oder Fokusexponent) stehen, kommt eine andere Fokussierung als geplant zustande.

(2.1.3) a. ??Johann hat sogar ihr/Lena einen neuen KaLENder geschenkt. *KaLENder
  b. Johann hat sogar ihr/LEna einen neuen Kalender geschenkt.
  c. *Hans hat sogar, daß Lena am Dienstag Geburtstag hat, geWUßt. *geWUßt
  d. Hans hat sogar, daß Lena am Dienstag GeBURTStag hat, gewusst.

Im Russ. scheint es für Eigennamen im Unterschied zu Personalpronomina möglich zu sein, zwischen GP und Fokusexponent platziert zu sein, ohne den Fokus zu "fangen".

(2.1.4) a. (?)Vanja dazhe Lene KalenDAR' podaril.
    Vanja sogar Lena-DAT Kalender-AKK schenkte 
  vs.:  
  b. ??Vanja dazhe ej KalenDAR' podaril.
  c. Vanja dazhe EJ Kalendar' podaril.

Diese Regel von Jacobs ist in Anwendung für das Russische Beschränkungen in Bezug auf Eigennamen unterworfen. Für daß/chto-Sätze gilt der Befund wie im Dt.: wenn dazhe vor einem chto-Satz platziert ist, darf der Fokusexponent nicht erst nach dem chto-Satz stehen, vgl.:

(2.1.5) a. ??/*Vanja dazhe, chto u Leny vo vtornik den' rozhdenija, ZNAL. (*ZNAL)
    Vanja-NOM sogar, daß bei Lena am Dienstag Geburtstag , wußte 
  b. Vanja dazhe, chto u Leny vo vtornik den' rozhDEnija, znal.

Jacobs (1983) postulierte eine Positionsbedingung für Gradpartikeln, die er "das Prinzip der maximalen Fokusnähe (PMF)" genannt hat. Dieses Prinzip sieht vor, daß eine GP die nächstmögliche Position zu Fokus einzunehmen hat. Während eine weitere Konkretisierung dieser Bedingung bei Jacobs durch Restriktion für Elemente zwischen der GP und dem Fokusträger erfolgte, wurde dieselbe Erklärung in späteren Ansätzen, vor allem Büring/Hartmann (2000), syntaktisch umgedeutet (LATE-Prinzip genannt), also in Bezug auf erweiterte Projektionen. So hat sich eine GP nach Büring/Hartmann (2000) an die zum Fokusträger nächstmögliche erweiterte Projektion zu platzieren.

Es gibt für das GP-Verhalten zwei verschiedene Erklärungen. In meinem Ansatz versuche ich beide Erklärungen, soweit es sich machen läßt, zusammenzuführen und Regeln für die Fokusdomäne zu formulieren, die letztendlich als eine Art Mischeinheit aus Semantik, Pragmatik, Prosodie und Syntax auftritt.

Es ist davon auszugehen, daß die syntaktische Ordnung - von Gradpartikelpositionen - in einer Sprache in der Regel im Einklang mit den semantisch-pragmatischen Vorgaben ist. Die Unterschiede für diese Regelung sind auf allgemeinere einzelsprachliche Charakteristika zurückzuführen. So decken die allgemein formulierten rein syntaktischen Regeln nur ein Teil von möglichen Optionen ab, sie erfassen vor allem das Grundmuster. Die Grenzen der Variation - unter anderem hinsichtlich umgangssprachlicher Verwendungsweisen bleiben weitestgehend unbekannt, da sie - wenn überhaupt - nur am Rande behandelt werden.

Nach meiner Ansicht kann ein neues Ergebnis erzielt werden, wenn zwischen zwei Typen von Fokusdomänen unterschieden wird. Es ergibt sich eine folgende Fragestellung: bei welchen Typen von Fokusdomänen - und in welchen Konstellationen - sind Kontaktposition und Distanzposition zugelassen und ob es sich um Positionen der Fokuskonstituente in der Basisstruktur oder um derivierte Positionen handelt.

2.2 Fokusdomäne als syntaktische Einheit?

Die "Fokusdomäne" als eine semantische und intonatorische Einheit läßt sich auf die syntaktische Struktur übertragen. Das wurde von Selkirk (1984, 1995) und anderen besonders klar gezeigt. Die Fokusdomäne wird als Domäne eines Hauptakzents ('pitch accent') verstanden, der als Fokusmerkmal in der syntaktischen Struktur aufgefaßt wird.

Nach Rooth (1995) wäre eine parallele semantische und syntaktische Abhandlung von Fokusdomänen kaum möglich. Sehr unwahrscheinlich erscheint auch eine Art universale Erklärung für Partikelpositionen, die semantische und pragmatische Relationen in Einklang mit der Syntax bringen würde. Dabei besteht Rooth auf der Meinung, daß semantische Relationen und phonetische Gestaltung verträglich und miteinander relativierbar zu sein haben. Rooth vertritt die Theorie "Fokus in situ", räumt jedoch das Problem mit der Handhabung des Skopus ein. Das ist die Dimension, auf der der Fokus interpretiert wird. Wenn die Interpretation auf die Ebene der Logischen Form verschoben wird, ist die Interaktion mit der phonologischen Domäne des Fokus nicht mehr möglich. So kommt Rooth zum Schluß, daß der Operator ~ für die Interpretation des focus semantic value nicht bzw. nicht nur auf der LF anzunehmen ist.

    "If the ~ operator were present only in LF, it could not serve the purpose of delimiting a phonological domain of prominence. Perhaps the solution is simply that it is present at other levels also, including the input to phonological interpretation." (Rooth, 1992: 114).

Der Fokusoperator ist also zwar auf allen Ebenen relevant, läßt sich jedoch kaum für alle Ebenen gleichzeitig adäquat beschreiben. Die syntaktische Analyse ist auf einer solchen Ebene durchzuführen, die mit den Vorgängen auf der phonetischen Form (PF) kompatibel ist. Das kann die Oberflächenstruktur, also die lineare Abfolge, in der alle Derivationen schon stattgefunden haben oder eine f-Struktur (Erteschik-Shir 1997) sein. Dies ist wichtig, um Hintergrund vom Fokus zu unterscheiden und die Interpretation konkret zu motivieren. So gehören skalenkonstituierende Elemente in der Regel zum Hintergrund. Wenn sie jedoch ein Teil einer Konstituente bilden, sind sie als Hintergrund ein Teil der Fokusdomäne (FD), also der entsprechenden DP oder PP, zumal sie in ein und dieselbe intonatorische Einheit gehören, vgl.:

(2.2.1) a. Hans hat sogar FD[das ERste Buch aus dieser Reihe] gekauft.
  b. Ivan kupil dazhe FD[PERvuju knigu iz etoj serii].
    Ivan-NOM kaufte sogar erstes Buch-AKK aus dieser Serie 
  Vgl.:  
  c. Hans hat aus dieser Reihe sogar FD[das ERste Buch] gekauft.
  d. Ivan kupil iz etoj serii dazhe FD[PERvuju knigu].

Offensichtlich lassen sich die Hintergrundelemente scrambeln, sodaß lediglich ihre Spur in der Fokusdomäne verbleibt (vgl. (2.2.1) c.,d.).

Ein weiteres Beispiel für Hintergrundelemente in der Fokusdomäne sind Vorkommnisse von Gradpartikeln innerhalb PP'n:

(2.2.2) a. Die Störung wurde FD[in nicht einmal ZEHN Minuten] behoben.
  b. Pomexa byla ustranena dazhe FD[menee chem za DES'jat' minut].
    Störung-NOM war behoben sogar weniger als in zehn Minuten 

Für Argument-DP und PP, die als enge Fokusdomäne intern nicht in Fokus und Hintergrund aufgeteilt sind, ist es nicht nötig, sie stets mit dem VP-Material als Hintergrund zusammen zu behandeln, zumal es sich hier um eigenständige Konstituenten handelt.

(2.2.3) a. Hans hat Maria sogar FD[ein BUCH] geschickt.
  b. Ivan dazhe FD[KNIgu] Marii poslal.
    Ivan-NOM sogar Buch-AKK schickte 

Die VP ohne Fokusdomäne stellt einen propositionalen Skopus dar, während Teile von DP'n und PP'n lediglich mit dem gesamten Restriktor propositional werden können ((2.2.1)c., d).

Bekannterweise können nur der Kontext und die Analyse der prosodischen Gestaltung des relevanten Bereichs den Aufschluß über die Zugehörigkeit zur Fokusdomäne geben. Mein Standpunkt in dieser Frage ist folgendermaßen: naturgemäß haben wir in Gradpartikelsätzen mit skalaren Mengenwerten zu tun, deren Verankerung im Kontext gesichert sein soll. Der Kontext und die einschlägigen Relevanzbedingungen machen erst deutlich, welche Werte in Entailments gegeben sind, sodaß eine syntaktisch ambige Konstellation im gegebenen Kontext nur eine Bedeutung hat, wie die folgenden Beispiele und die nachstehenden (jeweils unter b.,d) Erweiterungen illustrieren sollen.

(2.2.4) a. Marcel schreibt sogar [GeDICHte].
  b. Neben Novellen, Artikeln, Romanen.
     
  c. Marcel schreibt sogar [GeDICHte t].
  d. Neben der Tatsache, daß er sich für Literatur interessiert und gerne musiziert.
     
(2.2.5) a. Marcel dazhe [stiXI] pishet.
    Marcel-NOM sogar Gedichte-AKK schreibt 
  b. Narjadu s tem, chto on pishet novelly, stat'i, romany.
    neben mit dem, daß er-NOM schreibt Novellen, Artikel, Romane-AKK
  c. Marcel dazhe [stiXI pishet].
  d. Narjadu s tem, chto on interesujetsja literaturoj, lubit muzicyrovat'.
  e. *Narjadu s tem, chto on pishet novelly, stat'i, romany.
  (Es ist nicht bekannt, daß Marcel andere literarische Werke schreibt außer Gedichten)

Als ein Test für die Bestimmung der Größe der Fokusdomäne im Dt. und Russ. scheint Tilgbarkeit (im jeweiligen Kontext) effizient zu funktionieren. Problemlos tilgen läßt sich das, was im vorher relevanten Redeabschnitt erwähnt wurde und wenn kein Grund und keine Absicht besteht, dieses Material zu aktualisieren bzw. zu kontrastieren. Ich gehe davon aus, daß sich Gradpartikeln stets (und ausschließlich) auf kontrastive Foki beziehen, die im Unterschied zu anderen Foki (z.B. Frage-Antwort Foki ) nicht tilgbar sind (vgl. Hartmann, 1998:139), vgl.:

(2.2.6)   A: Hat Leo schon einiges für seine Party besorgt?
    B1: Ja, Pappteller hat er besorgt, reichlich Obst und Getränke bestellt, Wandschmuck und sogar [DP LUFTballons] gekauft.
    B2: Ja, sogar [DP LUFTballons].
     
    A: Hat Leo seine Party schon vorbereitet?
    B1: Er hat Pappteller besorgt, reichlich Obst und Getränke bestellt, und sogar [VP LUFTballons gekauft].
    B2: *Ja, sogar [DP LUFTballons].

Die Frage, ob deakzentuiertes Material zur Fokusdomäne gehört oder zum Topik, stellt sich insofern nicht, als Topiks nicht als deakzentuiert zu betrachten sind, sondern ihre eigenen Akzente besitzen.

Die Möglichkeit zu projizieren ist durch den Status des Fokusträgers (Kopf oder Argument, vgl. Selkirk 1995) bedingt. Die neutralen Foki sind prädizierbar, vorausgesetzt, der jeweilige Kandidat für den Fokusexponent ist betonbar. Die Unbetonbarkeit des ersten Kandidaten oder die Gleichwertigkeit eines weiteren Kandidaten - der z.B. die Fokusprojektion nach oben nicht verhindert, bilden zwei in der Literatur bekannte Sonderfälle (vgl. am Beispiel der Lokaladjunkte Maienborn, 1994).

Die Fälle mit solchen Fokusexponenten, die neutrale Foki darstellen können, (vgl. oben (2.2.4) & (2.2.5)), sind, wie schon in der Einführung gezeigt, eine Ambiguitätsquelle speziell für Gradpartikelverwendungen.

2.3 Informationsstruktur und Syntax

Gradpartikeln interagieren über die Fokusdomäne auf eine besondere Weise mit der Informationsstruktur, genau genommen mit der Fokus-Hintergrund-Struktur des Satzes. Informationsstruktur ist ein neuerer, inzwischen sehr verbreiteter Begriff, der für die diskursbezogene, sprechergesteuerte und hörerorientierte Strukturierung eines Satzes verwendet wird. Historisch geht der Begriff 'Informationsstruktur' auf Thema und Rhema zurück, also auf die Unterscheidung von Gegebenem und Neuem im Satz oder von dem, worüber im Satz gesprochen wird (Thema) und was darüber ausgesagt wird (Rhema). Schon die Prager Linguisten selbst haben gemerkt, daß eine solche binäre Teilung nicht ausreicht. Im Laufe der Zeit, und besonders intensiv in den 80-90er Jahren, wurde die Theorie der Informationsstruktur - basierend auf neuen Erkenntnissen zu Fokus (-prosodie, -semantik und -syntax) sowie zur Wortfolge - stark vorangetrieben. Auf der einen Seite wird die Rolle des Diskurses stärker berücksichtigt, auf der anderen Seite wird bestimmt, was (universal)grammatisch festgelegt ist.

Zur Semantik des Fokus sind insbesondere Arbeiten relevant, die sich mit fokussierenden Partikeln beschäftigten (Jacobs 1983, Rooth 1985) oder aber solche, die illokutive Satztypen mitberücksichtigten (Jacobs 1984). Gleichzeitig wurden syntaxbezogene Fokustheorien entwickelt (Selkirk 1984, 1995; Stechow/Uhmann 1986, Cinque 1993). Von Höhle (1982) wurden anhand des Dt. einige Regeln für Wortfolge, Akzent und Kontextzusammenhang vorgeschlagen. Die wichtigste lautet: eine normale Wortfolge ist dann gegeben, wenn der Satz eine maximal mögliche Anzahl von verschiedenen möglichen Foki zuläßt. Daraus läßt sich schließen, daß die Wortfolge festlegen oder - auch ohne Kontext - erkennen lassen kann, was der Fokus ist. Solche Effekte sind durch die sog. die argumentstrukturbasiert sind (vgl. Selkirk 1985, 1995 u.a.; Drubig, 1994). In der Syntax wird von Fokusprojektion gesprochen, die innerhalb Determinatorphrasen, Präpositionaphrasen, Adjektivphrasen oder Verbalphrasen stattfindet oder blockiert ist. Die Fokusprojektion innerhalb der VP wird "weiter Fokus" oder "weite Fokusdomäne" genannt, Fokusprojektion in Determinatorphrasen und Präpositionaphrasen 'enge Fokusdomäne' (vgl. z.B. Selkirk 1995, Drubig 1994). Diese Formate lege ich für die Differenzierung unterschiedlicher Bezugsbereiche der Gradpartikel zugrunde (s.o. Pkt. 2.2).

Während Thema und Rhema - also die Begriffe der Prager Schule - für die Makrostruktur, also für die Textebene verwendet werden, sind eine grammatische Aufteilung in Topik-Kommentar und/oder eine prosodiebezogene Aufteilung in Fokus und Hintergrund auf der Satzebene relevant (vgl. Abraham, 1995: 605)3. Über die Fokus-Hintergrund-Struktur sagte Krifka (1991/92: 18) folgendes: "This partition is essential for the semantics and/or pragmatics of the sentence." Syntaktisch wird versucht, die Informationstruktur im Rahmen der Satzgrammatik zu rekonstruieren (vgl. Rosengren 1993; Junghanns/Zybatow 1995).

2.4 Informationsstrukturmodelle: "bottom up" und "top down"

Im Moment sind verschiedene Informationsstrukturmodelle vorhanden, deren Ausgangsannahmen über die Interaktion zwischen Syntax und Fokusstruktur differieren. Als syntaktische Grundlage dient ein generatives Satzstrukturmodell in Sinne von Chomsky. So besteht ein Satz in der Regel aus einer VP, über welcher eine komplexe funktionale Struktur vorhanden ist, durch die Kongruenz, semantische und situationelle (vor allem temporale und aspektuelle) Bezüge grammatisch fixiert werden. Dieses strenge Skelett läßt sich nur schwer mit der Flexibilität verbinden, die die Sprachen in verschiedenen Variationsmöglichkeiten in Bezug auf Fokus aufweisen. Die Strategien richten sich nach zwei bekannten Fokusmodellen in der Syntax. Dies sind die sog. "bottom up"- und "top down"-Modelle.

Beim "top down"-Modell gibt es ein Fokusmerkmal, der an einen Knoten in der Struktur zugewiesen wird. Der hierarchische Status des Knotens bestimmt, wie viele tiefere Knoten als f-markiert zu gelten haben.

(2.4.1) "Top down"-Modell
  a)   b)
  / \   / \
  [+F]   / \
  /   \   / \
  / \   [+F]
  /   \

Bei dem "bottom up"-Verfahren wird mit der Fokusprojektion gearbeitet. So gibt es Regeln, nach denen sich die Projektionshöhe richtet. Es werden markierte und neutrale Foki unterschieden (vgl. Pkt. 1.2). Die neutralen Foki stellen einen Ambiguitätsfall dar, bei dem unklar ist, wie hoch die Projektion reicht. Genau das gilt als ein Schwachpunkt der Theorie (vgl. die Kritik im Zusammenhang mit Partikeln in Reis/Rosengren (1997). Jedoch ist die "top down"-Theorie nur scheinbar eine reelle Alternative, da es darin auch nicht anders als pragmatisch regelt ist, auf welchem Knoten das Fokusmerkmal landet.

(2.4.2) 'Bottom up'-Modell
  a)   b)
  / \   / \
  / \   / \
  / \   / \
  [Fok]   [Fok]
  /   \
  [F]

Die Lösung ist daher in der Pragmatik zu suchen. Wenn jedoch Fokuspartikeln im Spiel sind, dann können sie durch ihre Position"'verraten", wo die Fokusdomäne endet. In vielen Fällen ist aber eine solche Transparenz nicht gegeben. Der Problemfall mit "neutralem" Fokus (vgl. Pkt. 2.2) bleibt . Das Russ. bietet eine besonders große Vielfalt an möglichen Positionen, die die Bestimmung der Fokusdomäne ohne Kontext nahezu unmöglich macht, vorausgesetzt, der Träger des neutralen Fokus ist bekannt.

(2.4.3) a. Hans hat Maria sogar [ein BUCH geschenkt].
  b. Hans hat Maria sogar [ein BUCH] geschenkt.
  c. Ivan dazhe [KNIgu Marii podaril].
    Ivan-NOM Buch Maria-DAT schenkte 
  d. Ivan dazhe [KNIgu] Marii podaril.

Die Auffassungen darüber, ob sogar/dazhe in den Fällen wie b. und d. in (2.4.3) an eine andere Ebene als in a. und c. adjungieren, divergieren. Je nach Syntaxmodell wird entweder von der Ambiguität und somit nur von einer Position ausgegangen oder von der Flexibilität mit zwei verschiedenen Positionen (Adjunkt an V', Adjunkt an DP).

In der Konstellation Subj GP V IObj DObj ((2.4.3)e.) - ohne Fokusbewegung des direkten Objekts - ist es unmöglich, das direkte Objekt als einen engen Fokus zu haben. Das Verb allein oder das Subjekt als engen Fokus zu betrachten, ist eher unwahrscheinlich, zumal rechts von Verb rhematisches Material plaziert ist. Eine Konstellation wie diese ist eindeutig und ist für das Russ. als eine SVO-Sprache typisch.

(2.4.3) e. Ivan dazhe [podaril Marii KNIgu].
    Ivan sogar schenkte Maria-DAT ein Buch
  f. *Hans sogar hat Maria [ein BUCH geschenkt].

Für das Dt. als eine VerbZweit-Sprache kommt eine solche Konstellation nicht in Frage. Lediglich in etwas marginalen Konstruktionen ist es möglich, das Subjekt eng zu fokussieren. Solche Optionen bereiten Schwierigkeiten für syntaktische Analysen und werden kaum in Betracht gezogen.

Anhand solcher Fakten stellt sich erneut die Frage, welche syntaktische Ebene zu Erfassung möglicher Partikelpositionen geeignet ist. Es erscheint attraktiv, von einigen wenigen zulässigen Positionen auszugehen, wie Jacobs (1983) und Büring/Hartmann (2000) das tun. Unerklärt bleibt dabei, anhand welcher Regeln der Sprecher sich für die eine oder andere Position entscheidet. Da diese Regeln pragmatisch basiert, jedoch an semantische und syntaktische Restriktionen geknüpft sind, scheint eine Minimierung der Adjunktionsmöglichkeiten sinnvoll zu sein.

(2.4.4) a. [Die MUTter] wußte sogar davon t. Adjunktion an VP
  b. [MAT'] dazhe ob etom znala. Adjunktion an VP /NP
    Mutter-NOM sogar über das wußte 
     
  c. Sogar [die MUTter] wußte davon. Adjunktion an IP
  d. Dazhe [MAT'] ob etom znala. (Fokus im unmittelbaren Skopus)
   
  e. Die Mutter wußte sogar [daVON]. Adjunktion an PP
  f. Mat' dazhe [ob Etom] znala.
     
  g. Die Mutter [WUßte] sogar davon. Adjunktion an VP
  h. Mat' ob etom dazhe [ZNAla].
  i. (?)Die Mutter wußte [daVON] sogar. Adjunktion an VP
  j. Mat' ob etom [ZNAla] dazhe.
     
(2.4.5) a. Hans hat sogar [MARIA] ein/das Buch geschenkt.
  b. Ivan dazhe [MaRII] knigu podaril.

Mein Ziel besteht darin, mit Hilfe des Skopusformats "weite/enge Fokusdomäne" zu neuen Erkenntnissen über die Partikelsyntax zu gelangen. Primär eignet sich die Methode für Gradpartikeln, bei Anwendung auf andere Fokuspartikeln ergeben sich sofort Restriktionen. Diese Methode dient dem Zweck, die Eigenschaft der Gradpartikeln adnominal und adverbiell (im Sinne an verbale Projektionen adjungiert) positionierbar zu sein, auf einen Nenner zu bringen. Die meisten Fokuspartikeln erlauben nur adnominale Verwendungen, also die mit einer engen Fokusdomäne.

2.5 Weite und enge Fokusdomäne als neues Bezugsbereichsformat für GP'n

Die Leitfrage ist stets, wo sich Gradpartikeln so in eine Struktur integrieren, daß eine bestimmte Interpretation dabei herauskommt. Jedoch führen Motivationen und Methoden zu verschiedenen Ergebnissen. Die Beantwortung dieser Frage hängt von dem Verständnis ab, auf welche Weise Syntax und Semantik interagieren. Und - in welchem Stadium und wie die Gradpartikeln mit ins Spiel kommen.

Ein entscheidender Punkt ist dabei, welche Interpretationstypen unterschieden werden (sollen), um eine syntaktische Position zu motivieren. (Darin stützen sich Büring/Hartmann weitestgehend auf Rooth (1985) und führen die Unterscheidung enger und weiter Foki auf identische semantische Ergebnisse der Berechnung von Alternativen zurück (vgl. Büring und Hartmann 2.2 im Appendix). Büring und Hartmann (im Druck, 2000) plädieren also dafür, daß enge Foki syntaktisch nicht durch bestimmte Partikelpositionen gekennzeichnet werden.

Dies kann m.E. die Relevanz der Unterscheidung weiter und enger Fokusdomänen nicht zunichte machen. Eine weite Fokusdomäne ist - grob gesagt - eine solche, die das Verb in die Fokusdomäne miteinschließt und eine enge Fokusdomäne ist eine solche, die eine Konstituente kleineren Ranges als VP bzw. V' umfaßt. Das sagt zugleich aus, welche Elemente im Denotationsbereich sind, der die Wahrheit des Gradpartikelsatzes im entsprechenden Kontext bestimmt.

(2.5.1) Enge FD: a. Marcel schreibt sogar [GeDICHte]. (Marcel verfaßt auch andere literarische Werke)
    b. Marcel dazhe [stiXI] pishet. Narjadu s tem, chto on pishet novelly, stat'i, romany.
      Marcel-NOM sogar Gedichte-AKK schreibt. Neben mit dem, daß er-NOM schreibt Novellen-AKK, Artikel-AKK, Romane-AKK
       
  Weite FD: c. Marcel schreibt sogar [GeDICHte t]. (Es ist nicht bekannt, daß Marcel andere literarische Werke schreibt außer Gedichten; die Tatsache des Gedichteschreibens wird hervorgehoben, z.B. neben den Tatsachen, daß Marcel sich für Literatur interessiert, gerne musiziert etc.)
    d. Marcel dazhe [stiXI pishet].
      Narjadu s tem, chto on interesujetsja literaturoj, lubit musizyrovat'.
      *Narjadu s tem, chto on pishet novelly, stat'i, romany.

Der Kontext ist (neben der Prosodie) die einzige Quelle, die es erlaubt, die Grenzen der Fokusdomäne zu bestimmen, d.h. sie soweit einzuschränken, wie es syntaktisch zulässig ist. Meines Erachtens ist es plausibel genug, festzustellen, ob die Werte auf der Skala und Elemente des relevanten Denotationsbereichs als Ereignisse oder als Objekte (in weitem Sinne, d.h. einschließlich Umstände, Orte, Zeiten) definierbar sind. Wenn diese Unterscheidung als grundlegend angesehen wird, läßt sich die syntaktische Analyse übersichtlicher halten.


3 Analyse

3.1 Eine Gegenposition

Deutsch und Russisch sind Sprachen, die im Vergleich zu Englisch viel Flexibilität und - vor allem im Dt. - mehr Transparenz in Bezug auf Partikelpositionen und Interpretation bieten.

Es soll für viele Fälle vorausgesetzt werden, daß eine mehr oder minder endgültige Auskunft zur Gradpartikelsyntax nur dann möglich ist, wenn die prosodischen Gegebenheiten erfaßt werden.4.

Im Gegensatz zu Büring und Hartmann (im Druck, 2000) plädiere ich dafür, daß die GP-Adjunktion nicht nur an eine erweiterte VP-Ebene, sondern auch an eine (Argument-)DP erfolgen kann (vgl. Reis/Rosengren, 1997). Büring und Hartmann (2000) nehmen an, daß eine Partikel wie nur/only, die vor einer topikalisierten DP am Satzanfang steht, nur an die CP adjungiert sein darf, weil es unmöglich ist, die Partikel - mit der DP zusammen - in der VP zu rekonstruieren. Dagegen wäre einzuwenden, daß Partikeln - vor allem Gradpartikeln - nicht rekonstruiert werden dürfen, weil erstens, ihre Position auf die pragmatisch vorgegebene Fokusdomäne stets abgestimmt sein soll und zweitens, sie sich nicht bewegen können, sondern sich dem NP-Skopus anpassen. Büring & Hartmann (Pkt. 4) kommen letztlich auch zu dem Schluß, daß der Skopus einer Fokuspartikel und ihre Rekonstruktion unterschiedliche Dinge sind, bieten jedoch keine Lösung für den Skopus außer Restriktion der möglichen Partikelpositionen auf einige wenige. Sie gestehen ein, daß bei dieser Methode immer noch unerklärte Fakten bestehen bleiben.

Bei der Analyse von Büring/Hartmann (im Druck, 2000) bleiben z.B. die Fälle der rechten Adjunktion an den Fokus nicht erklärt (z.B.: weil [[HANS] nur] lesen will), da nur zwei (linke) Adjunktionspositionen - an erweiterte Verbphrasen und an erweiterte Adjektivphrasen für Partikeln wie only zugelassen sind. So ist ausgeschlossen, daß eine Adjunktion einer Partikel wie only/nur an V°, V`, C, C` erfolgt. Im Russ. sind Verwendungen mit solchen Partikelpositionen weitaus verbreiteter als im Dt., so daß die Position "GP quasi enklitisch zum Fokusexponenten" (vgl. z. B. die Sätze 2.1.1 e, h) nicht ignoriert werden darf.

3.2 Gemeinsame Standards und scheinbare Unterschiede

Deutsch und Russisch sind in ihren schriftlichen Varianten in Bezug auf GP-Positionen ähnlich geregelt. So ist die von Altmann (1976) als Standard genannte Position vor dem Fokus (hier Fokusdomäne) der Regelfall. Wie in 2.1 schon gesagt wurde, ist das Grundmuster für Gradpartikelpositionen in Deutsch und Russisch ähnlich. Jedoch weist die Variation des Grundmusters vor allem in umgangssprachlichen Kontexten Unterschiede auf. Diese Unterschiede beruhen auf Wortfolgeregeln: solchen für die normale Abfolge und für markierte Varianten. Das Dt. hat strikt bestimmte Verbpositionen im Satz, während das Russ. viele informationsstrukturell bedingte Bewegungen zulässt (vgl. zu Motiven für Bewegung im Russ. Junghanns, 1997). So gibt es im Dt. einerseits weniger Variationen als im Russischen, andererseits sind Vorkommen von negativen Gradpartikeln in Präpositionalphrasen nur im Dt. zugelassen.

Die reguläre Adjunktion an die Fokusdomäne ist sowohl im Falle der weiten (3.1.1)a.b) als auch der engen Fokusdomäne gegeben ((3.1.1)c.,d):

(3.1.1) a. Hans hat Maria sogar [ein BUCH geschenkt].
  b. Ivan dazhe [podaril Marii KNIgu].
    Ivan-NOM sogar schenkte Maria-DAT Buch-AKK
     
  c. Sogar [Johann] hat eine eigene Homepage.
  d. Dazhe [u VAni] est' sobstvennaja stranica v internete.

In (3.1.1)a.,b.)) ist die GP an die VP adjungiert. Im Deutschen ist diese Position bei neutraler Wortfolge - ohne Kontext - besonders stark ambig, da es sich entweder um eine weite Fokusdomäne [VP ein BUCH geschenkt] oder um eine enge Fokusdomäne [ein BUCH], [Maria] bzw. [Hans] handeln könnte. Diese Konstellation wäre im Hinblick auf die verschiedenen Foki für mindestens vier Kontexte geeignet. Im Russ. ist diese Position bei neutraler Abfolge nur hinsichtlich des Subjekts, welches als Fokus fungieren kann, mehrdeutig, also mindestens für zwei Kontexte geeignet. Nicht nur der Kontext, auch die prosodisches Gestaltung eines Satzes kann für Desambiguierung hilfreich sein. Bis jetzt wurde diese Tatsache lediglich für das Russ. nachgewiesen (Alter, 1997: ). Solange kein entsprechender Nachweis für das Deutsche vorhanden ist, läßt sich das nur vorsichtig annehmen.

Die scheinbar unterschiedlichen GP-Positionen wie in ((3.1.2)a., c) sind auf grammatisch feste Verbpositionen im dt. Satz zurückzuführen. So kann die Position in (3.1.2)a. identisch mit der in (3.1.2)c. betrachtet werden. Im Russ. unterscheiden sich b. und d. durch normale und nach links bewegte Position des Verbs, die je nach Ansatz auch als Rechtsadjunktion betrachtet werden kann. Die Position des Verbs im Russ. ist nicht grammatisch fixiert.

(3.1.2) a. Er [lachte] sogar [t].
  b. On dazhe [smejalsja].
    er-NOM sogar lachte
Vs.    
  c. Er hat sogar [gelacht].
  d. On [smejalsja] dazhe.

3.3 Unterschiedliche Konstellationen und naheliegende Erklärungen

3.3.1. Rechte Adjunktion oder Fokusbewegung nach links

Umgangssprachlich läßt das Deutsche recht wenig rechte Adjunktion (nach Altmann 1976 Nachstellung) zu, während das Russische diese Option sehr weit entwickelt hat, und zwar sowohl innerhalb einer Fokusdomäne als auch am Ende eines Satzes. Wegen des umgangssprachlichen Charakters solcher Optionen differieren muttersprachliche Urteile in Bezug auf Akzeptabilität in beiden Sprachen (vgl. (3.2.1.1):

(3.2.1.1) a. Hans hat Maria [ein BUCH geschenkt] sogar.
  b. Ivan [podaril Masche KNIgu] dazhe.
    Ivan schenkte Maria-DAT Buch-AKK sogar 

Weitere Optionen der rechten Adjunktion im Russ. gehen mit der Linksbewegung (oft als Fokusbewegung genannt) des Fokusexponents einher. Das Verb plaziert sich typischerweise in die Endposition des Satzes (in solchen Fällen läßt sich streiten, ob das infolge der Bewegung des indirekten Objekts zustande kommt oder infolge der Verbbewegung nach rechts. Ich lasse diese Frage offen).

(3.2.1.2) a. Ivan [KNIgu dazhe Masche podaril].
  b. Ivan [KNIgu Masche dazhe podaril].

Wenn das Subjekt stärker prosodisch hervorgehoben wird, wird im Russ. wieder die nähere Position zum Fokusexponent präferiert (3.2.1.3)a.). Während eine GP im Dt. normalerweise in Distanzposition zu einem fokussierten Subjekt platziert werden kann ((3.2.1.3) a.) und die Kontaktposition rechts ((3.2.1.3) b.) als marginal angesehen wird, wird im Russ. gerade die rechte Kontaktposition zum Subjekt vorgezogen ((3.2.1.3) d).

<
(3.2.1.3) Dt.: a. JOhann hat sogar eine eigene Homepage.
    b. JOhann sogar hat eine eigene Homepage.
  Russ.: c. (?)U VAni est' dazhe sobstvennaja stranica v internete.
      Bei Vanja 'gibt es' sogar eigene Seite-AKK im Internet 
    d. U VAni dazhe est' sobstvennaja stranica v internete.

3.3.2 Wie ist die Distanz zum Fokusexponent im Russischen minimierbar?

Evidenz mit Temporaladverbien

Wenn der Verwendungstyp "Fokusexponent in einer VP-Sequenz" betrachtet wird, d.h. die neutrale Verwendung der Fokussierung eines Arguments, wenn das Prädikat ebenfalls zu Fokusdomäne gehört, so ist die Tendenz zu erkennen, daß das Russ. dazu neigt, die Distanz zwischen GP und Fokusexponent zu minimieren. So können selten Temporaladverbien zwischen GP und Fokusexponent platziert werden. Im Dt. schwankt zwar die Akzeptanz für solche Beispiele, sie ist aber gegeben, vgl. (3.2.2.1)a. vs. b., c.):

(3.2.2.1) a. (?)Johann hat sogar seit neulich eine eigene HOmepage.
  b. Johann hat seit neulich sogar eine eigene HOmepage.
  c. Seit neulich hat Johann sogar eine eigene HOmepage.
 
  d. (~)U Vani est' dazhe s nedavnego vremeni sobstvennaja straNIca v internete.
    Bei Vanja-DAT 'gibt es' sogar seit nicht-langer Zeit eigene Seite-AKK im Internet 
  e. U Vani s nedavnego vremeni est' dazhe sobstvennaja straNIca v internete.
  f. S nedavnego vremeni u Vani est' dazhe sobstvennaja straNIca v internete.
 
(3.2.2.2) a. ?/??Hans hat sogar [gestern Maria ein BUCH geschenkt]
  b. Hans hat gestern sogar [Maria ein BUCH geschenkt].
 
  c. ??/*Ivan dazhe [vchera podaril kakoj-to devochke cveTY].
    Ivan-NOM sogar gestern schenkte einem (bestimmten/gewissen) Mädchen Blumen.
  d. Ivan vchera dazhe [podaril kakoj-to devochke cveTY].

Die Syntax des Russ. ist sensitiver in Bezug auf die Nähe einer GP zum Fokusexponent. So kann die Regel nicht so lauten, daß Temporaladverbien in weiten Fokusdomänen gar nicht vorkommen dürfen, sondern, daß sie nicht zwischen GP und Fokusexponent intervenieren dürfen. Um diese unerwünschte Konstellation zu verhindern, kann der Fokusexponent nach links, also näher an die Partikel bewegt werden. (Dabei sollte es sich um eine Landeposition im VP-Bereich handeln.

(3.2.2.3) a. Ivan dazhe [cveTY vchera kakoj-to devochke podaril].
  b. Ivan [cveTY dazhe vchera kakoj-to devochke podaril].

Eine solche Bewegung innerhalb der VP ist für Fokusexponente im Dt. nicht erlaubt. So wird normalerweise die Abfolge TempAdv -GP - [Fokusdomäne ] präferiert (vgl. (3.2.2.2)b.).

Offensichtlich gelten im Russ. folgende Regeln:

  1. "Adjungiere ein Temporaladverbial, welches zum Hintergrund gehört, außerhalb der Fokusdomäne" und
  2. "Adjungiere ein Temporaladverbial, welches nicht zum Hintergrund gehört, nicht in unmittelbarer Nähe zur Gradpartikel".
Im Dt. sind die Vorkommen von nicht zum Hintergrund gehörenden Temporaladverbien in Fokusdomänen optional möglich. Die unmittelbare Nachbarschaft zur GP in der linearen Abfolge ist also zulässig.

Linksbewegung des Fokusexponents

Für das Russ. ist die Fokusbewegung in der Form, daß eine Konstituente, die als Fokusexponent auftritt, nach links vorgezogen wird, typisch (vgl. auch Bsp. (3.2.1.2), (3.2.2.3) oben):

(3.2.2.4) a. Ivan dazhe [cveTY kakoj-to devochke podaril].
    Ivan-NOM sogar Blumen einem (bestimmten/gewissen) Mädchen schenkte.
  b. Ivan [cveTY dazhe kakoj-to devochke podaril].

Im Dt. gibt es eine vergleichbare Fokusbewegung. Diese erfolgt jedoch in Hauptsätzen ins Vorfeld, also an den Satzanfang, sodaß die rechte Adjunktion der GP dort in Frage kommt. Dabei ergibt sich nur die enge Fokusdomäne. Die Akzeptabilität von solchen Beispielen schwankt jedoch.

(3.2.2.5) a. [Ein BUCH] sogar hat Hans Maria geschenkt. (?)

Die Erhaltung der weiten Fokusdomäne ist nur möglich, wenn die GP vor der VP verbleibt und das Fokusexponent ein solches ist, das in der VP basisgeneriert wurde, also ein Argument ist und zugleich als Träger des neutralen (grammatischen) Akzents geeignet ist.

(3.2.2.5) b. BÜcher wurden ihm sogar [ t geschenkt].

Logischerweise ergibt sich Ähnliches in einer passivischen Konstruktion im Russ.:

(3.2.2.5) c. KNIgi byli emu dazhe [ t podareny].
    Bücher-NOM waren ihm-DAT sogar geschenkt 

3.3.3 Gradpartikeln innerhalb von Präpositionalphrasen

Die Möglichkeiten für GP-Vorkommen innerhalb von Präpositionalphrasen sind im Deutschen und Russ. anders gewichtet (vgl. Pkt. 1.3). Vorkommen von positiven Gradpartikeln (sogar, dazhe) in PP'n sind sehr eingeschränkt. Für sogar und dazhe sind Adjunktionen an AP'n innerhalb von PP'n zulässig - im Dt. als Linksadjunktion, im Russ. als Rechtsadjunktion, solche Verwendungen haben meistens einen recht marginalen Charakter.

(3.2.3.1) a. [Für sogar [erFAHrene] Sportler] war das schwer.
  b. [Dlja [Opytnyx] dazhe sportsmenov] éto bylo trudno.
    für erfahrene sogar Sportler dasNOM war schwer

In allen Fällen der Integration in die PP'n handelt es sich um Adjunktion an eine QP oder eine AP (Büring und Hartmann (im Druck 2000) sehen diese Fälle genauso so, zumal es sich um keine Argumente handelt. Für die restriktive Fokuspartikel nur sowie für die negative Gradpartikel nicht einmal ist es typisch, daß sie ihren Skopus innerhalb einer PP haben können.

3.4 Weite Fokusdomäne immer VP?

Die Festlegung, daß enge Fokusdomänen eine hierarchisch tiefere Ebene als VP umfassen, läßt schlußfolgern, daß weite Fokusdomänen stets VP zu sein haben. Jedoch möchte ich das semantische Kriterium der Ereignishaftigkeit höher als das syntaktische Kriterium (VP) ansetzen und demnach als Ereignis-NP'n als weite Fokusdomänen zulassen. Dies gilt gleichermaßen im Dt. wie im Russ.:

(3.3.1) a. Die sprachliche Kompetenz wird sogar [durch die regelmäßige Zeitungslektüre] unterstützt, geschweige denn ...
  b. Jazykovyju kompetentnost' ukreplajet dazhe [regulajrnoje chtenije gazet], ne govorja uzhe o ...
    sprachliche Kompetenz-AKK unterstützt sogar regelmäßiges Lesen Zeitungen-GEN, NEG. sprechend schon über ...

Es sind Fälle zu unterscheiden, in denen ein und derselbe Ereignistyp unterschiedlich benannt wird und auf diese Weise eine Graduierung erzeugt wird. Es sind Beipiele wie die folgenden, für die die (für Büring/Hartmann 200 nicht zulässige) Adjunktion an V° Sinn machen würde.

(3.3.2) e. Er [lachte] sogar [t].
=(3.1.2) f. On dazhe [smejalsja].
    er-NOM sogar lachte
Vs.
  g. Er hat sogar [gelacht].
  h. On [smejalsja] dazhe.
 
(3.3.3) a. Der Richter hat nicht einfach laut geschrien, er hat sogar [gebrüllt].
  b. Sudja ne prosto gromko krichal, on dazhe [revel].
    Richter-NOM NEG. einfach laut schrie, er sogar brüllte 

3.5 Vorkommen mit Negation, negative Gradpartikeln

Das Russ. ist eine Negationskonkordsprache, die eine feste Position für die Satznegation beim finiten Verb vorsieht und gleichzeitig einige weitere Positionen für pronominale und adverbiale Negation vorsieht. Das Deutsche hat dagegen die feste Negation beim Verb ausgespart und realisiert die Satznegation mit Hilfe negativer Pronomina, Adverbien und auch mit Hilfe der negativen Gradpartikel nicht einmal.

(3.4.1) a. Niemand hat das Buch gelesen.
  b. Nikto knigu ne chital.
    niemand-NOM Buch-AKK las 
  c. Nicht einmal einer hat das Buch gelesen.
  d. Xot' by kto-nibud' knigu prochital - nikto ne prochital.
    'auch nur' KOND.PRT. irgendjemand-NOM Buch-AKK 'gelesen hätte' - niemand NEG. lasPF.ASP.
  e. ??Dazhe i nikto knigu ne chital.

Das Russ. darf naturgemäß keine negative GP besitzen, die zugleich als Satznegation auftritt. So gibt es die reguläre Option mit der negativen GP i, die sich links an das Fokusexponent adjungiert. Ni stellt einen Sonderfall für wertende Verwendungen dar, die nur mit stark kontrastiv (emphatisch) fokussierten minimalen semantischen Einheiten (wie shag/Schritt, minuta/Minute, slovo/Wort) als GP fungieren.

Nicht einmal und i als negative GP'n erlauben es, solche Kontexte zu erzeugen, die Satznegation und gleichzeitig eine fokussierende Negation enthalten. Ihre Flexibilität läßt zu, verschiedene Fokusdomänen als Bezugskonstituenten zu haben. I hat einen klitischen Status und wird daher oft in Kombination mit dazhe verwendet. Verwendungen in PP'n sind für i nicht möglich. Es wird auf negative Prädikative ausgewichen, um entsprechende Inhalte wiederzugeben:

(3.4.2) a. Der Regen hörte [nach nicht einmal zehn Minuten] auf.
  b. Dozhd' prekratilsja dazhe [menee chem cherez desjat' minut].
    Regen hörte auf sogar weniger als nach zehn Minuten 

Sog. positive GP'n wie sogar und dazhe sind für Fälle prädestiniert, in denen die Satznegation zum Hintergrund gehört. Es sind Verwendungen mit engen Fokusdomänen:

(3.4.3) a. Sogar [Mascha] hat die Aufgabe nicht gelöst.
  b. Dazhe [Masha] ne reshila zadachu.
    Sogar Mascha-NOM NEG. löste Aufgabe-AKK

Verwendungen wie (3.3.4.) setzen voraus, daß die negierte VP auch zur Fokusdomäne gehört. Im Dt. sind solche Beispiele zwar durchaus möglich, werden aber von Muttersprachlern gelegentlich als nicht autentisch eingestuft.

(3.4.4) a. Mascha hat sogar [keine Aufgabe gelöst].
  b. Masha ne reshila dazhe [ni odnoj zadachi].
    Mascha NEG. löste sogar niNEG. eineGEN. AufgabeGEN.
  c. Masha ne reshila dazhe i [odnoj zadachi].

Die Regeln für die Position einer negativen Gradpartikel sind im Unterschied zu "neutralen" Negationspartikeln nicht/ne weniger grammatisch gesteuert, sondern primär durch Kontrastierbarkeit des Elements, welcher als prominenter Skalenwert fungiert. In der Regel sind es Positionen, die auch für normale Negationspartikeln bei Kontrast in Frage kommen, d.h. Positionen für fokussierende Negation (oft Konstituentennegation oder von Jacobs (1991:551) "replazive Negation" genannt):

(3.4.5) a. Er hat nicht in Berlin gelebt.
  b. *Er hat in Berlin nicht gelebt.
  c. Er hat in Berlin nicht gelebt, sondern gehaust.

Mit Hilfe pragmatisch fundierter Prinzipien im Sinne von Schwarzschild (1999) läßt sich festhalten, daß Gegebenes (aus dem Entailment Zugängliches) nicht in der Fokusdomäne enthalten sein muß, wenn die Syntax eine andere Option zuläßt, vgl. B1 vs. B2 (3.3.6). Dieser Befund ist jedoch nicht neu.

(3.4.6)   A.: Wieso haben sie nicht gleich im Museum einen Katalog gekauft?
    B1.: Sie haben das Museum nicht einmal beSUCHT..
    B2.: ??Sie haben nicht einmal [das Museum beSUCHT].


4 Zusammenfassung

Das Vorgehen, die Fokusdomänen - unter der Bedingung einer semantisch basierten Definition - als satzinterner Skopusformat für Gradpartikeln anzusetzen, entspricht zum einen dem Bestreben, die neueren Tendenzen in der Syntax- und Prosodieforschung zu beachten. Zum anderen ist es eine Möglichkeit, verschiedene Ebenen, auf denen GP'n betrachtet werden können, zusammenzuhalten. Viele Fragen müssen noch geklärt werden. Es gibt jedoch einige wenige Ergebnisse und Beobachtungen aus neuer Perspektive. Generell läßt sich folgendes festhalten: das Dt. hat grammatisch fixierte syntaktische Positionen für GP'n für verschiedene Fokusdomänen; das Russ. bietet innerhalb weiter Fokusdomänen mehr Einbettungsmöglichkeiten für Gradpartikeln und für deakzentuiertes Material, da die flexible Syntax die Struktur prosodisch zu regulieren erlaubt.


Anmerkungen

1 In Anlehnung an König (1993: 980) zähle ich den Ausdruck geschweige denn aufgrund semantischer Charakteristika zu Fokuspartikeln, Pasch faßt geschweige denn aufgrund seiner syntaktischen Eigenschaften als Konnektor auf (vgl. Pasch in diesem Band). [Zurück]
2 Jacobs (1983:245f., 255f.) vertritt - vor allem anhand der Skopusverhältnisse - die Meinung, daß es sich bei sogar und nicht einmal jeweils um affirmativ-polare Elemente handelt. Erst wenn eine weitere Dimension - das skalenkonstituierende Prädikat - miteinbezogen wird, eröffnet sich eine neue "polare" Perspektive. [Zurück]
3 Es gibt jedoch viele andere Verwendungen von Topik, z.B. Diskurs-Topik bei Büring (1997:42). [Zurück]
4 Auf Prosodie kann ich im Rahmen meiner Arbeit (Poljakova, in Vorber.) nicht eingehen, werde aber das tun, was als Vorarbeit an theoretisch erfaßbaren Fakten und Hypothesenbildung zu leisten ist. [Zurück]

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 Linguistik online 6, 2/00